Kant: AA V, Kritik der praktischen ... , Seite 161

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 gemacht wird. Das Herz wird doch von einer Last, die es jederzeit ingeheim      
  02 drückt, befreit und erleichtert, wenn an reinen moralischen Entschließungen,      
  03 davon Beispiele vorgelegt werden, dem Menschen ein inneres,      
  04 ihm selbst sonst nicht einmal recht bekanntes Vermögen, die innere      
  05 Freiheit, aufgedeckt wird, sich von der ungestümen Zudringlichkeit der      
  06 Neigungen dermaßen loszumachen, daß gar keine, selbst die beliebteste      
  07 nicht, auf eine Entschließung, zu der wir uns jetzt unserer Vernunft bedienen      
  08 sollen, Einfluß habe. In einem Falle, wo ich nur allein weiß,      
  09 daß das Unrecht auf meiner Seite sei, und, obgleich das freie Geständni      
  10 desselben und die Anerbietung zur Genugthuung an der Eitelkeit, dem      
  11 Eigennutze, selbst dem sonst nicht unrechtmäßigen Widerwillen gegen den,      
  12 dessen Recht von mir geschmälert ist, so großen Widerspruch findet, dennoch      
  13 mich über alle diese Bedenklichkeiten wegsetzen kann, ist doch ein Bewußtsein      
  14 einer Unabhängigkeit von Neigungen und von Glücksumständen      
  15 und der Möglichkeit sich selbst genug zu sein enthalten, welche mir überall      
  16 auch in anderer Absicht heilsam ist. Und nun findet das Gesetz der      
  17 Pflicht durch den positiven Werth, den uns die Befolgung desselben empfinden      
  18 läßt, leichteren Eingang durch die Achtung für uns selbst im      
  19 Bewußtsein unserer Freiheit. Auf diese, wenn sie wohl gegründet ist,      
  20 wenn der Mensch nichts stärker scheuet, als sich in der inneren Selbstprüfung      
  21 in seinen eigenen Augen geringschätzig und verwerflich zu finden,      
  22 kann nun jede gute sittliche Gesinnung gepfropft werden: weil dieses      
  23 der beste, ja der einzige Wächter ist, das Eindringen unedler und verderbender      
  24 Antriebe vom Gemüthe abzuhalten.      
           
  25 Ich habe hiemit nur auf die allgemeinsten Maximen der Methodenlehre      
  26 einer moralischen Bildung und Übung hinweisen wollen. Da die      
  27 Mannigfaltigkeit der Pflichten für jede Art derselben noch besondere      
  28 Bestimmungen erforderte und so ein weitläuftiges Geschäfte ausmachen      
  29 würde, so wird man mich für entschuldigt halten, wenn ich in einer Schrift      
  30 wie diese, die nur Vorübung ist, es bei diesen Grundzügen bewenden      
  31 lasse.      
           
  32

Beschluß.

     
           
  33 Zwei Dinge erfüllen das Gemüth mit immer neuer und zunehmender      
  34 Bewunderung und Ehrfurcht, je öfter und anhaltender sich das Nachdenken      
  35 damit beschäftigt: der bestirnte Himmel über mir und das      
  36 moralische Gesetz in mir. Beide darf ich nicht als in Dunkelheiten      
           
     

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