Kant: AA V, Kritik der praktischen ... , Seite 139 |
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| 01 | müßten, um zu sagen, daß sie nur durch einen Gott (wie wir uns diesen | ||||||
| 02 | Begriff denken müssen) möglich war. Vollends aber die Existenz dieses | ||||||
| 03 | Wesens aus bloßen Begriffen zu erkennen, ist schlechterdings unmöglich, | ||||||
| 04 | weil ein jeder Existentialsatz, d. i. der, so von einem Wesen, von dem ich | ||||||
| 05 | mir einen Begriff mache, sagt, daß es existire, ein synthetischer Satz ist, | ||||||
| 06 | d. i. ein solcher, dadurch ich über jenen Begriff hinausgehe und mehr von | ||||||
| 07 | ihm sage, als im Begriffe gedacht war: nämlich daß diesem Begriffe im | ||||||
| 08 | Verstande noch ein Gegenstand außer dem Verstande correspondirend | ||||||
| 09 | gesetzt sei, welches offenbar unmöglich ist durch irgend einen Schluß herauszubringen. | ||||||
| 10 | Also bleibt nur ein einziges Verfahren für die Vernunft übrig, | ||||||
| 11 | zu diesem Erkenntnisse zu gelangen, da sie nämlich als reine Vernunft, | ||||||
| 12 | von dem obersten Princip ihres reinen praktischen Gebrauchs ausgehend | ||||||
| 13 | (indem dieser ohnedem blos auf die Existenz von Etwas, als Folge der | ||||||
| 14 | Vernunft, gerichtet ist), ihr Object bestimmt. Und da zeigt sich nicht allein | ||||||
| 15 | in ihrer unvermeidlichen Aufgabe, nämlich der nothwendigen Richtung | ||||||
| 16 | des Willens auf das höchste Gut, die Nothwendigkeit, ein solches Urwesen | ||||||
| 17 | in Beziehung auf die Möglichkeit dieses Guten in der Welt anzunehmen, | ||||||
| 18 | sondern, was das Merkwürdigste ist, etwas, was dem Fortgange der Vernunft | ||||||
| 19 | auf dem Naturwege ganz mangelte, nämlich ein genau bestimmter | ||||||
| 20 | Begriff dieses Urwesens. Da wir diese Welt nur zu einem kleinen | ||||||
| 21 | Theile kennen, noch weniger sie mit allen möglichen Welten vergleichen | ||||||
| 22 | können, so können wir von ihrer Ordnung, Zweckmäßigkeit und Größe wohl | ||||||
| 23 | auf einen weisen, gütigen, mächtigen etc. Urheber derselben schließen, | ||||||
| 24 | aber nicht auf seine Allwissenheit, Allgütigkeit, Allmacht u. s. w.. | ||||||
| 25 | Man kann auch gar wohl einräumen: daß man diesen unvermeidlichen | ||||||
| 26 | Mangel durch eine erlaubte, ganz vernünftige Hypothese zu ergänzen wohl | ||||||
| 27 | befugt sei; daß nämlich, wenn in so viel Stücken, als sich unserer näheren | ||||||
| 28 | Kenntniß darbieten, Weisheit, Gütigkeit etc. hervorleuchtet, in allen übrigen | ||||||
| 29 | es eben so sein werde, und es also vernünftig sei, dem Welturheber alle | ||||||
| 30 | mögliche Vollkommenheit beizulegen; aber das sind keine Schlüsse, wodurch | ||||||
| 31 | wir uns auf unsere Einsicht etwas dünken, sondern nur Befugnisse, die | ||||||
| 32 | man uns nachsehen kann, und doch noch einer anderweitigen Empfehlung | ||||||
| 33 | bedürfen, um davon Gebrauch zu machen. Der Begriff von Gott bleibt | ||||||
| 34 | also auf dem empirischen Wege (der Physik) immer ein nicht genau bestimmter | ||||||
| 35 | Begriff von der Vollkommenheit des ersten Wesens, um ihn | ||||||
| 36 | dem Begriffe einer Gottheit für angemessen zu halten (mit der Metaphysik | ||||||
| 37 | aber in ihrem transscendentalen Theile ist gar nichts auszurichten). | ||||||
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