Kant: AA V, Kritik der praktischen ... , Seite 064 |
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| 01 | dem letzteren vorher analytisch nachgeforscht hätte, gefunden haben würde, | ||||||
| 02 | daß nicht der Begriff des Guten als eines Gegenstandes das moralische | ||||||
| 03 | Gesetz, sondern umgekehrt das moralische Gesetz allererst den Begriff des | ||||||
| 04 | Guten, so fern es diesen Namen schlechthin verdient, bestimme und möglich | ||||||
| 05 | mache. | ||||||
| 06 | Diese Anmerkung, welche blos die Methode der obersten moralischen | ||||||
| 07 | Untersuchungen betrifft, ist von Wichtigkeit. Sie erklärt auf einmal den | ||||||
| 08 | veranlassenden Grund aller Verirrungen der Philosophen in Ansehung | ||||||
| 09 | des obersten Princips der Moral. Denn sie suchten einen Gegenstand des | ||||||
| 10 | Willens auf, um ihn zur Materie und dem Grunde eines Gesetzes zu machen | ||||||
| 11 | (welches alsdann nicht unmittelbar, sondern vermittelst jenes an das Gefühl | ||||||
| 12 | der Lust oder Unlust gebrachten Gegenstandes der Bestimmungsgrund | ||||||
| 13 | des Willens sein sollte), anstatt daß sie zuerst nach einem Gesetze hätten | ||||||
| 14 | forschen sollen, das a priori und unmittelbar den Willen und diesem gemäß | ||||||
| 15 | allererst den Gegenstand bestimmte. Nun mochten sie diesen Gegenstand | ||||||
| 16 | der Lust, der den obersten Begriff des Guten abgeben sollte, in der Glückseligkeit, | ||||||
| 17 | in der Vollkommenheit, im moralischen Gefühle, oder im Willen | ||||||
| 18 | Gottes setzen, so war ihr Grundsatz allemal Heteronomie, sie mußten unvermeidlich | ||||||
| 19 | auf empirische Bedingungen zu einem moralischen Gesetze stoßen: | ||||||
| 20 | weil sie ihren Gegenstand, als unmittelbaren Bestimmungsgrund des Willens, | ||||||
| 21 | nur nach seinem unmittelbaren Verhalten zum Gefühl, welches allemal | ||||||
| 22 | empirisch ist, gut oder böse nennen konnten. Nur ein formales Gesetz, | ||||||
| 23 | d. i. ein solches, welches der Vernunft nichts weiter als die Form ihrer allgemeinen | ||||||
| 24 | Gesetzgebung zur obersten Bedingung der Maximen vorschreibt, | ||||||
| 25 | kann a priori ein Bestimmungsgrund der praktischen Vernunft sein. Die | ||||||
| 26 | Alten verriethen indessen diesen Fehler dadurch unverhohlen, daß sie ihre | ||||||
| 27 | moralische Untersuchung gänzlich auf die Bestimmung des Begriffs vom | ||||||
| 28 | höchsten Gut, mithin eines Gegenstandes setzten, welchen sie nachher zum | ||||||
| 29 | Bestimmungsgrunde des Willens im moralischen Gesetze zu machen gedachten: | ||||||
| 30 | ein Object, welches weit hinterher, wenn das moralische Gesetz | ||||||
| 31 | allererst für sich bewährt und als unmittelbarer Bestimmungsgrund des | ||||||
| 32 | Willens gerechtfertigt ist, dem nunmehr seiner Form nach a priori bestimmten | ||||||
| 33 | Willen als Gegenstand vorgestellt werden kann, welches wir in | ||||||
| 34 | der Dialektik der reinen praktischen Vernunft uns unterfangen wollen. Die | ||||||
| 35 | Neueren, bei denen die Frage über das höchste Gut außer Gebrauch gekommen, | ||||||
| 36 | zum wenigsten nur Nebensache geworden zu sein scheint, verstecken | ||||||
| 37 | obigen Fehler (wie in vielen andern Fällen) hinter unbestimmten Worten, | ||||||
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