Kant: AA V, Kritik der praktischen ... , Seite 004

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 Vernunft aus, und alle andere Begriffe (die von Gott und Unsterblichkeit),      
  02 welche als bloße Ideen in dieser ohne Haltung bleiben,      
  03 schließen sich nun an ihn an und bekommen mit ihm und durch ihn Bestand      
  04 und objective Realität, d. i. die Möglichkeit derselben wird dadurch      
  05 bewiesen, daß Freiheit wirklich ist; denn diese Idee offenbart sich      
  06 durchs moralische Gesetz.      
           
  07 Freiheit ist aber auch die einzige unter allen Ideen der speculativen      
  08 Vernunft, wovon wir die Möglichkeit a priori wissen, ohne sie doch einzusehen,      
  09 weil sie die Bedingung *) des moralischen Gesetzes ist, welches wir      
  10 wissen. Die Ideen von Gott und Unsterblichkeit sind aber nicht Bedingungen      
  11 des moralischen Gesetzes, sondern nur Bedingungen des nothwendigen      
  12 Objects eines durch dieses Gesetz bestimmten Willens, d. i. des      
  13 bloß praktischen Gebrauchs unserer reinen Vernunft; also können wir von      
  14 jenen Ideen auch, ich will nicht bloß sagen, nicht die Wirklichkeit, sondern      
  15 auch nicht einmal die Möglichkeit zu erkennen und einzusehen behaupten.      
  16 Gleichwohl aber sind die die Bedingungen der Anwendung des moralisch      
  17 bestimmten Willens auf sein ihm a priori gegebenes Object (das      
  18 höchste Gut). Folglich kann und muß ihre Möglichkeit in dieser praktischen      
  19 Beziehung angenommen werden, ohne sie doch theoretisch zu erkennen      
  20 und einzusehen. Für die letztere Forderung ist in praktischer Absicht      
  21 genug, daß sie keine innere Unmöglichkeit (Widerspruch) enthalten. Hier      
  22 ist nun ein in Vergleichung mit der speculativen Vernunft bloß subjectiver      
  23 Grund des Fürwahrhaltens, der doch einer eben so reinen, aber      
  24 praktischen Vernunft objectiv gültig ist, dadurch den Ideen von Gott      
  25 und Unsterblichkeit vermittelst des Begriffs der Freiheit objective Realität      
  26 und Befugniß, ja subjective Nothwendigkeit (Bedürfniß der reinen Vernunft)      
  27 sie anzunehmen verschafft wird, ohne daß dadurch doch die Vernunft      
           
    *)Damit man hier nicht Inconsequenzen anzutreffen wähne, wenn ich jetzt die Freiheit die Bedingung des moralischen Gesetzes nenne und in der Abhandlung nachher behaupte, daß das moralische Gesetz die Bedingung sei, unter der wir uns allererst der Freiheit bewußt werden können, so will ich nur erinnern, daß die Freiheit allerdings die ratio essendi des moralischen Gesetzes, das moralische Gesetz aber die ratio cognoscendi der Freiheit sei. Denn wäre nicht das moralische Gesetz in unserer Vernunft eher deutlich gedacht, so würden wir uns niemals berechtigt halten, so etwas, als Freiheit ist (ob diese gleich sich nicht widerspricht), anzunehmen. Wäre aber keine Freiheit, so würde das moralische Gesetz in uns gar nicht anzutreffen sein.      
           
     

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