Kant: AA IV, Metaphysische Anfangsgründe ... , Seite 473

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 besonderes System zu bringen, damit sie eine Wissenschaft ihrer eigenen      
  02 Art ausmachen, um dadurch die Ungewißheit zu verhüten, die aus der      
  03 Vermengung entspringt, da man nicht wohl unterscheiden kann, welcher      
  04 von beiden theils die Schranken, theils auch die Verirrungen, die sich im      
  05 Gebrauche derselben zutragen möchten, beizumessen sein dürften. Um deswillen      
  06 habe ich für nöthig gehalten, von dem reinen Theile der Naturwissenschaft      
  07 ( physica generalis ), wo metaphysische und mathematische Constructionen      
  08 durch einander zu laufen pflegen, die erstere und mit ihnen zugleich      
  09 die Principien der Construction dieser Begriffe, also der Möglichkeit      
  10 einer mathematischen Naturlehre selbst, in einem System darzustellen.      
  11 Diese Absonderung hat außer dem schon erwähnten Nutzen, den sie schafft,      
  12 noch einen besonderen Reiz, den die Einheit der Erkenntniß bei sich führt,      
  13 wenn man verhütet, daß die Grenzen der Wissenschaften nicht in einander      
  14 laufen, sondern ihre gehörig abgetheilte Felder einnehmen.      
           
  15 Es kann noch zu einem zweiten Anpreisungsgrunde dieses Verfahrens      
  16 dienen: daß in Allem, was Metaphysik heißt, die absolute Vollständigkeit      
  17 der Wissenschaften gehofft werden kann, dergleichen man sich      
  18 in keiner anderen Art von Erkenntnissen versprechen darf, mithin eben so,      
  19 wie in der Metaphysik der Natur überhaupt, also auch hier die Vollständigkeit      
  20 der Metaphysik der körperlichen Natur zuversichtlich erwartet werden      
  21 kann; wovon die Ursache ist, daß in der Metaphysik der Gegenstand      
  22 nur, wie er blos nach den allgemeinen Gesetzen des Denkens, in andern      
  23 Wissenschaften aber, wie er nach datis der Anschauung (der reinen sowohl,      
  24 als empirischen) vorgestellt werden muß, betrachtet wird, da denn jene,      
  25 weil der Gegenstand in ihr jederzeit mit allen nothwendigen Gesetzen des      
  26 Denkens verglichen werden muß, eine bestimmte Zahl von Erkenntnissen      
  27 geben muß, die sich völlig erschöpfen läßt, diese aber, weil sie eine unendliche      
  28 Mannigfaltigkeit von Anschauungen (reinen oder empirischen), mithin      
  29 Objecten des Denkens darbieten, niemals zur absoluten Vollständigkeit      
  30 gelangen, sondern ins Unendliche erweitert werden können; wie reine      
  31 Mathematik und empirische Naturlehre. Auch Glaube ich diese metaphysische      
  32 Körperlehre so weit, als sie sich immer nur erstreckt, vollständig erschöpft,      
  33 dadurch aber doch eben kein großes Werk zu Stande gebracht zu      
  34 haben.      
           
  35 Das Schema aber zur Vollständigkeit eines metaphysischen Systems,      
  36 es sei der Natur überhaupt, oder der körperlichen Natur insbesondere, ist      
           
     

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