Kant: AA IV, Grundlegung zur Metaphysik der ... , Seite 442

     
           
 

Zeile:

 

Text (Kant):

 

 

 

 
  01 der Glückseligkeit, sind aufs physische oder moralische Gefühl, die      
  02 zweiten aus dem Princip der Vollkommenheit, entweder auf den      
  03 Vernunftbegriff derselben als möglicher Wirkung, oder auf den Begriff      
  04 einer selbstständigen Vollkommenheit (den Willen Gottes) als bestimmende      
  05 Ursache unseres Willens gebauet.      
  06 Empirische Principien taugen überall nicht dazu, um moralische      
  07 Gesetze darauf zu gründen. Denn die Allgemeinheit, mit der sie für alle      
  08 vernünftige Wesen ohne Unterschied gelten sollen, die unbedingte praktische      
  09 Nothwendigkeit, die ihnen dadurch auferlegt wird, fällt weg, wenn der      
  10 Grund derselben von der besonderen Einrichtung der menschlichen      
  11 Natur, oder den zufälligen Umständen hergenommen wird, darin sie      
  12 gesetzt ist. Doch ist das Princip der eigenen Glückseligkeit am meisten      
  13 verwerflich, nicht bloß deswegen weil es falsch ist, und die Erfahrung dem      
  14 Vorgeben, als ob das Wohlbefinden sich jederzeit nach dem Wohlverhalten      
  15 richte, widerspricht, auch nicht bloß weil es gar nichts zur Gründung der      
  16 Sittlichkeit beiträgt, indem es ganz was anderes ist, einen glücklichen, als      
  17 einen guten Menschen, und diesen klug und auf seinen Vortheil abgewitzt,      
  18 als ihn tugendhaft zu machen: sondern weil es der Sittlichkeit Triebfedern      
  19 unterlegt, die sie eher untergraben und ihre ganze Erhabenheit zernichten,      
  20 indem sie die Bewegursachen zur Tugend mit denen zum Laster in eine      
  21 Classe stellen und nur den Calcul besser ziehen lehren, den specifischen      
  22 Unterschied beider aber ganz und gar auslöschen; dagegen das moralische      
  23 Gefühl, dieser vermeintliche besondere Sinn*), (so seicht auch die Berufung      
  24 auf selbigen ist, indem diejenigen, die nicht denken können, selbst in dem,      
  25 was bloß auf allgemeine Gesetze ankommt, sich durchs Fühlen auszuhelfen      
  26 Glauben, so wenig auch Gefühle, die dem Grade nach von Natur unendlich      
  27 von einander unterschieden sind, einen gleichen Maßstab des Guten und      
  28 Bösen abgeben, auch einer durch sein Gefühl für andere gar nicht gültig      
  29 urtheilen kann) dennoch der Sittlichkeit und ihrer Würde dadurch näher      
  30 bleibt, daß er der Tugend die Ehre beweist, das Wohlgefallen und die      
  31 Hochschätzung für sie ihr unmittelbar zuzuschreiben, und ihr nicht gleichsam      
           
    *) Ich rechne das Princip des moralischen Gefühls zu dem der Glückseligkeit, weil ein jedes empirische Interesse durch die Annehmlichkeit, die etwas nur gewährt, es mag nun unmittelbar und ohne Absicht auf Vortheile, oder in Rücksicht auf dieselbe geschehen, einen Beitrag zum Wohlbefinden verspricht. Imgleichen mu man das Princip der Theilnehmung an anderer Glückseligkeit mit Hutcheson zu demselben von ihm angenommenen moralischen Sinne rechnen.      
           
     

[ Seite 441 ] [ Seite 443 ] [ Inhaltsverzeichnis ]