Kant: AA IV, Grundlegung zur Metaphysik der ... , Seite 420

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 statten kommt, daß die Wirklichkeit desselben in der Erfahrung gegeben      
  02 und also die Möglichkeit nicht zur Festsetzung, sondern bloß zur Erklärung      
  03 nöthig wäre. So viel ist indessen vorläufig einzusehen: daß der kategorische      
  04 Imperativ allein als ein praktisches Gesetz laute, die übrigen insgesammt      
  05 zwar Principien des Willens, aber nicht Gesetze heißen können: weil,      
  06 was bloß zur Erreichung einer beliebigen Absicht zu thun nothwendig ist,      
  07 an sich als zufällig betrachtet werden kann, und wir von der Vorschrift      
  08 jederzeit los sein können, wenn wir die Absicht aufgeben, dahingegen das      
  09 unbedingte Gebot dem Willen kein Belieben in Ansehung des Gegentheils      
  10 frei läßt, mithin allein diejenige Nothwendigkeit bei sich führt, welche wir      
  11 zum Gesetze verlangen.      
           
  12 Zweitens ist bei diesem kategorischen Imperativ oder Gesetze der Sittlichkeit      
  13 der Grund der Schwierigkeit (die Möglichkeit desselben einzusehen)      
  14 auch sehr groß. Er ist ein synthetisch=praktischer Satz*) a priori, und da      
  15 die Möglichkeit der Sätze dieser Art einzusehen so viel Schwierigkeit im      
  16 theoretischen Erkenntnisse hat, so läßt sich leicht abnehmen, daß sie im      
  17 praktischen nicht weniger haben werde.      
           
  18 Bei dieser Aufgabe wollen wir zuerst versuchen, ob nicht vielleicht der      
  19 bloße Begriff eines kategorischen Imperativs auch die Formel desselben      
  20 an die Hand gebe, die den Satz enthält, der allein ein kategorischer Imperativ      
  21 sein kann; denn wie ein solches absolutes Gebot möglich sei, wenn      
  22 wir auch gleich wissen, wie es lautet, wird noch besondere und schwere Bemühung      
  23 erfordern, die wir aber zum letzten Abschnitte aussetzen.      
           
  24 Wenn ich mir einen hypothetischen Imperativ überhaupt denke,      
  25 so weiß ich nicht zum voraus, was er enthalten werde: bis mir die Bedingung      
  26 gegeben ist. Denke ich mir aber einen kategorischen Imperativ,      
  27 so weiß ich sofort, was er enthalte. Denn da der Imperativ außer      
  28 dem Gesetze nur die Nothwendigkeit der Maxime**) enthält, diesem Gesetze      
           
    *) Ich verknüpfe mit dem Willen ohne vorausgesetzte Bedingung aus irgend einer Neigung die That a priori, mithin nothwendig (obgleich nur objectiv, d. i. unter der Idee einer Vernunft, die über alle subjective Bewegursachen völlige Gewalt hätte). Dieses ist also ein praktischer Satz, der das Wollen einer Handlung nicht aus einem anderen, schon vorausgesetzten analytisch ableitet (denn wir haben keinen so vollkommenen Willen), sondern mit dem Begriffe des Willens eines vernünftigen Wesens unmittelbar als etwas, das in ihm nicht enthalten ist, verknüpft.      
           
    **) Maxime ist das subjective Princip zu handeln und muß vom objectiven Princip, nämlich dem praktischen Gesetze, unterschieden werden. Jene enthält die [Seitenumbruch] praktische Regel, die die Vernunft den Bedingungen des Subjects gemäß (öfters der Unwissenheit oder auch den Neigungen desselben) bestimmt, und ist also der Grundsatz, nach welchem das Subject handelt; das Gesetz aber ist das objective Princip, gültig für jedes vernünftige Wesen, und der Grundsatz, nach dem es handeln soll, d. i. ein Imperativ.      
           
     

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