Kant: AA IV, Grundlegung zur Metaphysik der ... , Seite 416

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 weil sie zu seinem Wesen gehört. Nun kann man die Geschicklichkeit in der      
  02 Wahl der Mittel zu seinem eigenen größten Wohlsein Klugheit*) im      
  03 engsten Verstande nennen. Also ist der Imperativ, der sich auf die Wahl      
  04 der Mittel zur eigenen Glückseligkeit bezieht, d. i. die Vorschrift der Klugheit,      
  05 noch immer hypothetisch; die Handlung wird nicht schlechthin, sondern      
  06 nur als Mittel zu einer anderen Absicht geboten.      
           
  07 Endlich giebt es einen Imperativ, der, ohne irgend eine andere durch      
  08 ein gewisses Verhalten zu erreichende Absicht als Bedingung zum Grunde      
  09 zu legen, dieses Verhalten unmittelbar gebietet. Dieser Imperativ ist      
  10 kategorisch. Er betrifft nicht die Materie der Handlung und das, was      
  11 aus ihr erfolgen soll, sondern die Form und das Princip, woraus sie selbst      
  12 folgt, und das Wesentlich=Gute derselben besteht in der Gesinnung, der      
  13 Erfolg mag sein, welcher er wolle. Dieser Imperativ mag der der Sittlichkeit      
  14 heißen.      
           
  15 Das Wollen nach diesen dreierlei Principien wird auch durch die      
  16 Ungleichheit der Nöthigung des Willens deutlich unterschieden. Um      
  17 diese nun auch merklich zu machen, glaube ich, daß man sie in ihrer Ordnung      
  18 am angemessensten so benennen würde, wenn man sagte: sie wären      
  19 entweder Regeln der Geschicklichkeit, oder Rathschläge der Klugheit,      
  20 oder Gebote (Gesetze) der Sittlichkeit. Denn nur das Gesetz führt      
  21 den Begriff einer unbedingten und zwar objectiven und mithin allgemein      
  22 gültigen Nothwendigkeit bei sich, und Gebote sind Gesetze, denen      
  23 gehorcht, d. i. auch wider Neigung Folge geleistet, werden muß. Die      
  24 Rathgebung enthält zwar Nothwendigkeit, die aber bloß unter subjectiver      
  25 zufälliger Bedingung, ob dieser oder jener Mensch dieses oder jenes      
  26 zu seiner Glückseligkeit zähle, gelten kann; dagegen der kategorische Imperativ      
  27 durch keine Bedingung eingeschränkt wird und als absolut=, obgleich      
  28 praktisch=nothwendig ganz eigentlich ein Gebot heißen kann. Man      
  29 könnte die ersteren Imperative auch technisch (zur Kunst gehörig), die      
           
    *) Das Wort Klugheit wird in zwiefachem Sinn genommen, einmal kann es den Namen Weltklugheit, im zweiten den der Privatklugheit führen. Die erste ist die Geschicklichkeit eines Menschen, auf andere Einfluß zu haben, um sie zu seinen Absichten zu gebrauchen. Die zweite die Einsicht, alle diese Absichten zu seinem eigenen daurenden Vortheil zu vereinigen. Die letztere ist eigentlich diejenige, worauf selbst der Werth der erstern zurückgeführt wird, und wer in der erstern Art klug ist, nicht aber in der zweiten, von dem könnte man besser sagen: er ist gescheut und verschlagen, im Ganzen aber doch unklug.      
           
     

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