Kant: AA IV, Prolegomena zu einer jeden ... , Seite 359

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 Ansehung aller möglichen Erfahrung in der Sinnenwelt durchgängig mit      
  02 sich einstimmig auf den höchsten Grad zu treiben, wenn man selbst wiederum      
  03 eine höchste Vernunft als eine Ursache alle Verknüpfungen in der      
  04 Welt annimmt: ein solches Princip muß ihr durchgängig vortheilhaft      
  05 sein, kann ihr aber nirgend in ihrem Naturgebrauche schaden. Zweitens      
  06 aber wird dadurch doch die Vernunft nicht als Eigenschaft auf das Urwesen      
  07 an sich selbst übertragen, sondern nur auf das Verhältniß      
  08 desselben zur Sinnenwelt und also der Anthropomorphism gänzlich vermieden.      
  09 Denn hier wird nur die Ursache der Vernunftform betrachtet,      
  10 die in der Welt allenthalben angetroffen wird, und dem höchsten Wesen,      
  11 so fern es den Grund dieser Vernunftform der Welt enthält, zwar Vernunft      
  12 beigelegt, aber nur nach der Analogie, d. i. so fern dieser Ausdruck      
  13 nur das Verhältniß anzeigt, was die uns unbekannte oberste Ursache zur      
  14 Welt hat, um darin alles im höchsten Grade vernunftmäßig zu bestimmen.      
  15 Dadurch wird nun verhütet, daß wir uns der Eigenschaft der Vernunft      
  16 nicht bedienen, um Gott, sondern um die Welt vermittelst derselben so zu      
  17 denken, als es nothwendig ist, um den größtmöglichen Vernunftgebrauch      
  18 in Ansehung dieser nach einem Princip zu haben. Wir gestehen dadurch:      
  19 daß uns das höchste Wesen nach demjenigen, was es an sich selbst sei, gänzlich      
  20 unerforschlich und auf bestimmte Weise sogar undenkbar sei; und      
  21 werden dadurch abgehalten, nach unseren Begriffen, die wir von der Vernunft      
  22 als einer wirkenden Ursache (vermittelst des Willens) haben, keinen      
  23 transscendenten Gebrauch zu machen, um die göttliche Natur durch Eigenschaften,      
  24 die doch immer nur von der menschlichen Natur entlehnt sind, zu      
  25 bestimmen und uns in grobe oder schwärmerische Begriffe zu verlieren, andererseits      
  26 aber auch nicht die Weltbetrachtung nach unseren auf Gott übertragenden      
  27 Begriffen von der menschlichen Vernunft mit hyperphysischen      
  28 Erklärungsarten zu überschwemmen und von ihrer eigentlichen Bestimmung      
  29 abzubringen, nach der sie ein Studium der bloßen Natur durch die      
  30 Vernunft und nicht eine vermessene Ableitung ihrer Erscheinungen von      
  31 einer höchsten Vernunft sein soll. Der unseren schwachen Begriffen angemessene      
  32 Ausdruck wird sein: daß wir uns die Welt so denken, als ob sie      
  33 von einer höchsten Vernunft ihrem Dasein und inneren Bestimmung nach      
  34 abstamme, wodurch wir theils die Beschaffenheit, die ihr, der Welt, selbst      
  35 zukommt, erkennen, ohne uns doch anzumaßen, die ihrer Ursache an sich      
  36 selbst bestimmen zu wollen, theils andererseits in das Verhältniß der      
  37 obersten Ursache zur Welt den Grund dieser Beschaffenheit (der Vernunftform      
           
     

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