Kant: AA IV, Prolegomena zu einer jeden ... , Seite 312

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01
§ 29.
     
           
  02 Um einen Versuch an Humes problematischem Begriff (dieser seiner      
  03 crux metaphysicorum ), nämlich dem Begriffe der Ursache, zu machen,      
  04 so ist mir erstlich vermittelst der Logik die Form eines bedingten Urtheils      
  05 überhaupt, nämlich ein gegebenes Erkenntniß als Grund und das andere      
  06 als Folge zu gebrauchen, a priori gegeben. Es ist aber möglich, daß in      
  07 der Wahrnehmung eine Regel des Verhältnisses angetroffen wird, die da      
  08 sagt, daß auf eine gewisse Erscheinung eine andere (obgleich nicht umgekehrt)      
  09 beständig folgt; und dieses ist ein Fall, mich des hypothetischen Urtheils      
  10 zu bedienen und z. B. zu sagen: wenn ein Körper lange gnug von      
  11 der Sonne beschienen ist, so wird er warm. Hier ist nun freilich noch      
  12 nicht eine Nothwendigkeit der Verknüpfung, mithin der Begriff der Ursache.      
  13 Allein ich fahre fort und sage: wenn obiger Satz, der blos eine subjective      
  14 Verknüpfung der Wahrnehmungen ist, ein Erfahrungssatz sein soll,      
  15 so muß er als nothwendig und allgemeingültig angesehen werden. Ein      
  16 solcher Satz aber würde sein: Sonne ist durch ihr Licht die Ursache der      
  17 Wärme. Die obige empirische Regel wird nunmehr als Gesetz angesehen      
  18 und zwar nicht als geltend blos von Erscheinungen, sondern von ihnen      
  19 zum Behuf einer möglichen Erfahrung, welche durchgängig und also nothwendig      
  20 gültige Regeln bedarf. Ich sehe also den Begriff der Ursache als      
  21 einen zur bloßen Form der Erfahrung nothwendig gehörigen Begriff und      
  22 dessen Möglichkeit als einer synthetischen Vereinigung der Wahrnehmungen      
  23 in einem Bewußtsein überhaupt sehr wohl ein: die Möglichkeit eines      
  24 Dinges überhaupt aber als einer Ursache sehe ich gar nicht ein und zwar      
  25 darum, weil der Begriff der Ursache ganz und gar keine den Dingen, sondern      
  26 nur der Erfahrung anhängende Bedingung andeutet, nämlich daß      
  27 diese nur eine Objectiv=gültige Erkenntniß von Erscheinungen und ihrer      
  28 Zeitfolge sein könne, so fern die vorhergehende mit der nachfolgenden nach      
  29 der Regel hypothetischer Urtheile verbunden werden kann.      
           
  30
§ 30.
     
           
  31 Daher haben auch die reine Verstandesbegriffe ganz und gar keine      
  32 Bedeutung, wenn sie von Gegenständen der Erfahrung abgehen und auf      
  33 Dinge an sich selbst ( noumena ) bezogen werden wollen. Sie dienen gleichsam      
  34 nur, Erscheinungen zu buchstabiren, um sie als Erfahrung lesen zu      
  35 können; die Grundsätze, die aus der Beziehung derselben auf die Sinnenwelt      
           
     

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