Kant: AA IV, Prolegomena zu einer jeden ... , Seite 260 |
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| 01 | aber jeder in seiner Art brauchbar: jener, wenn es auf Urtheile ankommt, | ||||||
| 02 | die in der Erfahrung ihre unmittelbare Anwendung finden, dieser aber, | ||||||
| 03 | wo im Allgemeinen, aus bloßen Begriffen, geurtheilt werden soll, z. B. | ||||||
| 04 | in der Metaphysik, wo der sich selbst, aber oft per antiphrasin so nennende | ||||||
| 05 | gesunde Verstand ganz und gar kein Urtheil hat. | ||||||
| 06 | Ich gestehe frei: die Erinnerung des David Hume war eben dasjenige, | ||||||
| 07 | was mir vor vielen Jahren zuerst den dogmatischen Schlummer | ||||||
| 08 | unterbrach und meinen Untersuchungen im Felde der speculativen Philosophie | ||||||
| 09 | eine ganz andre Richtung gab. Ich war weit entfernt, ihm in Ansehung | ||||||
| 10 | seiner Folgerungen Gehör zu geben, die blos daher rührten, weil | ||||||
| 11 | er sich seine Aufgabe nicht im Ganzen vorstellte, sondern nur auf einen | ||||||
| 12 | Theil derselben fiel, der, ohne das Ganze in Betracht zu ziehen, keine Auskunft | ||||||
| 13 | geben kann. Wenn man von einem gegründeten, obzwar nicht ausgeführten | ||||||
| 14 | Gedanken anfängt, den uns ein anderer hinterlassen, so kann | ||||||
| 15 | man wohl hoffen, es bei fortgesetztem Nachdenken weiter zu bringen, als | ||||||
| 16 | der scharfsinnige Mann kam, dem man den ersten Funken dieses Lichts | ||||||
| 17 | zu verdanken hatte. | ||||||
| 18 | Ich versuchte also zuerst, ob sich nicht Hume's Einwurf allgemein | ||||||
| 19 | vorstellen ließe, und fand bald: daß der Begriff der Verknüpfung von Ursache | ||||||
| 20 | und Wirkung bei weitem nicht der einzige sei, durch den der Verstand | ||||||
| 21 | a priori sich Verknüpfungen der Dinge denkt, vielmehr daß Metaphysik | ||||||
| 22 | ganz und gar daraus bestehe. Ich suchte mich ihrer Zahl zu versichern, | ||||||
| 23 | und da dieses mir nach Wunsch, nämlich aus einem einzigen Princip, | ||||||
| 24 | gelungen war, so ging ich an die Deduction dieser Begriffe, von | ||||||
| 25 | denen ich nunmehr versichert war, daß sie nicht, wie Hume besorgt hatte, | ||||||
| 26 | von der Erfahrung abgeleitet, sondern aus dem reinem Verstande entsprungen | ||||||
| 27 | seien. Diese Deduction, die meinem scharfsinnigen Vorgänger | ||||||
| 28 | unmöglich schien, die niemand außer ihm sich auch nur hatte einfallen | ||||||
| 29 | lassen, obgleich jedermann sich der Begriffe getrost bediente, ohne zu fragen, | ||||||
| 30 | worauf sich denn ihre objective Gültigkeit gründe, diese, sage ich, war das | ||||||
| 31 | Schwerste, das jemals zum Behuf der Metaphysik unternommen werden | ||||||
| 32 | konnte; und was noch das Schlimmste dabei ist, so konnte mir Metaphysik, | ||||||
| 33 | so viel davon nur irgendwo vorhanden ist, hiebei auch nicht die | ||||||
| 34 | mindeste Hülfe leisten, weil jene Deduction zuerst die Möglichkeit einer | ||||||
| 35 | Metaphysik ausmachen soll. Da es mir nun mit der Auflösung des | ||||||
| 36 | Humischen Problems nicht blos in einem besondern Falle, sondern in | ||||||
| 37 | Absicht auf das ganze Vermögen der reinen Vernunft gelungen war: so | ||||||
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