Kant: AA IV, Kritik der reinen Vernunft ... , Seite 174

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 und die Anweisung nach Regeln, diesen Ort allen Begriffen zu bestimmen,      
  02 die transscendentale Topik; eine Lehre, die vor Erschleichungen des      
  03 reinen Verstandes und daraus entspringenden Blendwerken gründlich bewahren      
  04 würde, indem sie jederzeit unterschiede, welcher Erkenntnißkraft      
  05 die Begriffe eigentlich angehören. Man kann einen jeden Begriff, einen      
  06 jeden Titel, darunter viele Erkenntnisse gehören, einen logischen Ort      
  07 nennen. Hierauf gründet sich die logische Topik des Aristoteles, deren      
  08 sich Schullehrer und Redner bedienen konnten, um unter gewissen Titeln      
  09 des Denkens nachzusehen, was sich am besten für eine vorliegende Materie      
  10 schickte, und darüber mit einem Schein von Gründlichkeit zu vernünfteln      
  11 oder wortreich zu schwatzen.      
           
  12 Die transscendentale Topik enthält dagegen nicht mehr, als die angeführte      
  13 vier Titel aller Vergleichung und Unterscheidung, die sich dadurch      
  14 von Kategorien unterschieden, daß durch jene nicht der Gegenstand nach      
  15 demjenigen, was seinen Begriff ausmacht (Größe, Realität), sondern nur      
  16 die Vergleichung der Vorstellungen, welche vor dem Begriffe von Dingen      
  17 vorhergeht, in aller ihrer Mannigfaltigkeit dargestellt wird. Diese Vergleichung      
  18 aber bedarf zuvörderst einer Überlegung, d. i. einer Bestimmung      
  19 desjenigen Orts, wo die Vorstellungen der Dinge, die verglichen werden,      
  20 hingehören, ob sie der reine Verstand denkt, oder die Sinnlichkeit in der      
  21 Erscheinung giebt.      
           
  22 Die Begriffe können logisch verglichen werden, ohne sich darum zu      
  23 bekümmern, wohin ihre Objecte gehören, ob als Noumena vor den Verstand,      
  24 oder als Phänomena vor die Sinnlichkeit. Wenn wir aber mit      
  25 diesen Begriffen zu den Gegenständen gehen wollen, so ist zuvörderst transscendentale      
  26 Überlegung nöthig, für welche Erkenntnißkraft sie Gegenstände      
  27 sein sollen, ob für den reinen Verstand, oder die Sinnlichkeit. Ohne diese      
  28 Überlegung mache ich einen sehr unsicheren Gebrauch von diesen Begriffen,      
  29 und es entspringen vermeinte synthetische Grundsätze, welche die kritische      
  30 Vernunft nicht anerkennen kann, und die sich lediglich auf einer transscendentalen      
  31 Amphibolie, d. i. einer Verwechselung des reinen Verstandesobjects      
  32 mit der Erscheinung, gründen.      
           
  33 In Ermangelung einer solchen transscendentalen Topik und mithin      
  34 durch die Amphibolie der Reflexionsbegriffe hintergangen, errichtete der      
  35 berühmte Leibniz ein intellectuelles System der Welt, oder glaubte      
  36 vielmehr der Dinge innere Beschaffenheit zu erkennen, indem er alle Gegenstände      
  37 nur mit dem Verstande und den abgesonderten formalen Begriffen      
           
     

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