Kant: AA IV, Kritik der reinen Vernunft ... , Seite 167

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 für unsern Verstand, sondern ein Verstand, vor den es gehörte, ist selbst      
  02 ein Problema, nämlich nicht discursiv, durch Kategorien, sondern intuitiv,      
  03 in einer nichtsinnlichen Anschauung, seinen Gegenstand zu erkennen, als      
  04 von welchem wir uns nicht die geringste Vorstellung seiner Möglichkeit      
  05 machen können. Unser Verstand bekommt nun auf diese Weise eine negative      
  06 Erweiterung; d. i. er wird nicht durch die Sinnlichkeit eingeschränkt,      
  07 sondern schränkt vielmehr dieselbe ein, dadurch daß er Dinge an sich selbst      
  08 (nicht als Erscheinungen betrachtet) Noumena nennt. Aber er setzt sich      
  09 auch sofort selbst Gränzen, sie durch keine Kategorien zu erkennen, mithin      
  10 sie nur unter dem Namen eines unbekannten Etwas zu denken.      
           
  11 Ich finde indessen in den Schriften der Neueren einen ganz andern      
  12 Gebrauch der Ausdrücke eines mundi sensibilis und intelligibilis , der von      
  13 dem Sinne der Alten ganz abweicht, und wobei es freilich keine Schwierigkeit      
  14 hat, aber auch nichts als leere Wortkrämerei angetroffen wird. Nach      
  15 demselben hat es einigen beliebt, den Inbegriff der Erscheinungen, so fern      
  16 er angeschaut wird, die Sinnenwelt, so fern aber der Zusammenhang derselben      
  17 nach allgemeinen Verstandesgesetzen gedacht wird, die Verstandeswelt      
  18 zu nennen. Die theoretische Astronomie, welche die bloße Beobachtung      
  19 des bestirnten Himmels vorträgt, würde die erstere, die contemplative      
  20 dagegen (etwa nach dem copernicanischen Weltsystem, oder gar nach Newtons      
  21 Gravitationsgesetzen erklärt) die zweite, nämlich eine intelligibele      
  22 Welt, vorstellig machen. Aber eine solche Wortverdrehung ist eine bloße      
  23 sophistische Ausflucht, um einer beschwerlichen Frage auszuweichen, dadurch      
  24 daß man ihren Sinn zu seiner Gemächlichkeit herabstimmt. In Ansehung      
  25 der Erscheinungen läßt sich allerdings Verstand und Vernunft      
  26 brauchen, aber es frägt sich, ob diese auch noch einigen Gebrauch haben,      
  27 wenn der Gegenstand nicht Erscheinung (Noumenon) ist; und in diesem      
  28 Sinne nimmt man ihn, wenn er an sich als blos intelligibel, d. i. dem Verstande      
  29 allein und gar nicht den Sinnen gegeben, gedacht wird. Es ist      
  30 also die Frage, ob außer jenem empirischen Gebrauche des Verstandes      
  31 (selbst in der Newtonischen Vorstellung des Weltbaues) noch ein transscendentaler      
  32 möglich sei, der auf das Noumenon als einen Gegenstand      
  33 gehe, welche Frage wir verneinend beantwortet haben.      
           
  34 Wenn wir denn also sagen: die Sinne stellen uns die Gegenstände      
  35 vor, wie sie erscheinen, der Verstand aber, wie sie sind, so ist das      
  36 letztere nicht in transscendentaler, sondern blos empirischer Bedeutung zu      
  37 nehmen, nämlich wie sie als Gegenstände der Erfahrung im durchgängigen      
           
     

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