Kant: AA IV, Kritik der reinen Vernunft ... , Seite 148 |
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| 01 | eine besondere Grundkraft unseres Gemüths, das Künftige zum voraus | ||||||
| 02 | anzuschauen (nicht etwa blos zu folgern), oder endlich ein Vermögen | ||||||
| 03 | desselben, mit andern Menschen in Gemeinschaft der Gedanken zu stehen (so | ||||||
| 04 | entfernt sie auch sein mögen:) das sind Begriffe, deren Möglichkeit ganz | ||||||
| 05 | grundlos ist, weil sie nicht auf Erfahrung und deren bekannte Gesetze gegründet | ||||||
| 06 | werden kann und ohne sie eine willkürliche Gedankenverbindung ist, | ||||||
| 07 | die, ob sie zwar keinen Widerspruch enthält, doch keinen Anspruch auf objective | ||||||
| 08 | Realität, mithin auf die Möglichkeit eines solchen Gegenstandes, als | ||||||
| 09 | man sich hier denken will, machen kann. Was Realität betrifft, so verbietet | ||||||
| 10 | es sich wohl von selbst, sich eine solche in concreto zu denken, ohne die Erfahrung | ||||||
| 11 | zu Hülfe zu nehmen: weil sie nur auf Empfindung als Materie der | ||||||
| 12 | Erfahrung gehen kann und nicht die Form des Verhältnisses betrifft, mit | ||||||
| 13 | der man allenfalls in Erdichtungen spielen könnte. | ||||||
| 14 | Aber ich lasse alles vorbei, dessen Möglichkeit nur aus der Wirklichkeit | ||||||
| 15 | in der Erfahrung kann abgenommen werden, und erwäge hier nur die | ||||||
| 16 | Möglichkeit der Dinge durch Begriffe a priori, von denen ich fortfahre zu | ||||||
| 17 | behaupten: daß sie niemals aus solchen Begriffen für sich allein, sondern | ||||||
| 18 | jederzeit nur als formale und objective Bedingungen einer Erfahrung überhaupt | ||||||
| 19 | statt finden können. | ||||||
| 20 | Es hat zwar den Anschein, als wenn die Möglichkeit eines Triangels | ||||||
| 21 | aus seinem Begriffe an sich selbst könne erkannt werden (von der Erfahrung | ||||||
| 22 | ist er gewiß unabhängig); denn in der That können wir ihm gänzlich | ||||||
| 23 | a priori einen Gegenstand geben, d. i. ihn construiren. Weil dieses aber | ||||||
| 24 | nur die Form von einem Gegenstande ist, so würde er doch immer nur ein | ||||||
| 25 | Product der Einbildung bleiben, von dessen Gegenstand die Möglichkeit | ||||||
| 26 | noch zweifelhaft bliebe, als wozu noch etwas mehr erfordert wird, nämlich | ||||||
| 27 | daß eine solche Figur unter lauter Bedingungen, auf denen alle Gegenstände | ||||||
| 28 | der Erfahrung beruhen, gedacht sei. Daß nun der Raum eine formale | ||||||
| 29 | Bedingung a priori von äußeren Erfahrungen ist, daß eben dieselbe | ||||||
| 30 | bildende Synthesis, wodurch wir in der Einbildungskraft einen Triangel | ||||||
| 31 | construiren, mit derjenigen gänzlich einerlei sei, welche wir in der Apprehension | ||||||
| 32 | einer Erscheinung ausüben, um uns davon einen Erfahrungsbegriff | ||||||
| 33 | zu machen: das ist es allein, was mit diesem Begriffe die Vorstellung | ||||||
| 34 | von der Möglichkeit eines solchen Dinges verknüpft. Und so ist die Möglichkeit | ||||||
| 35 | continuirlicher Größen, ja sogar der Größen überhaupt, weil die | ||||||
| 36 | Begriffe davon insgesammt synthetisch sind, niemals aus den Begriffen | ||||||
| 37 | selbst, sondern aus ihnen als formalen Bedingungen der Bestimmung der | ||||||
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