Kant: AA IV, Kritik der reinen Vernunft ... , Seite 069 |
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| 01 | Unter den mancherlei Begriffen aber, die das sehr vermischte Gewebe | ||||||
| 02 | der menschlichen Erkenntniß ausmachen, giebt es einige, die auch zum | ||||||
| 03 | reinen Gebrauch a priori (völlig unabhängig von aller Erfahrung) bestimmt | ||||||
| 04 | sind, und dieser ihre Befugniß bedarf jederzeit einer Deduction: | ||||||
| 05 | weil zu der Rechtmäßigkeit eines solchen Gebrauchs Beweise aus der Erfahrung | ||||||
| 06 | nicht hinreichend sind, man aber doch wissen muß, wie diese Begriffe | ||||||
| 07 | sich auf Objecte beziehen können, die sie doch aus keiner Erfahrung | ||||||
| 08 | hernehmen. Ich nenne daher die Erklärung der Art, wie sich Begriffe | ||||||
| 09 | a priori auf Gegenstände beziehen können, die transscendentale Deduction, | ||||||
| 10 | derselben und unterscheide sie von der empirischen Deduction, | ||||||
| 11 | welche die Art anzeigt, wie ein Begriff durch Erfahrung und Reflexion | ||||||
| 12 | über dieselbe erworben worden, und daher nicht die Rechtmäßigkeit, sondern | ||||||
| 13 | das Factum betrifft, wodurch der Besitz entsprungen. | ||||||
| 14 | Wir haben jetzt schon zweierlei Begriffe von ganz verschiedener Art, | ||||||
| 15 | die doch darin mit einander übereinkommen, daß sie beiderseits völlig | ||||||
| 16 | a priori sich auf Gegenstände beziehen, nämlich die Begriffe des Raumes | ||||||
| 17 | und der Zeit als Formen der Sinnlichkeit und die Kategorien als Begriffe | ||||||
| 18 | des Verstandes. Von ihnen eine empirische Deduction versuchen | ||||||
| 19 | wollen, würde ganz vergebliche Arbeit sein: weil eben darin das Unterscheidende | ||||||
| 20 | ihrer Natur liegt, daß sie sich auf ihre Gegenstände beziehen, | ||||||
| 21 | ohne etwas zu deren Vorstellung aus der Erfahrung entlehnt zu haben. | ||||||
| 22 | Wenn also eine Deduction derselben nöthig ist, so wird sie jederzeit transscendental | ||||||
| 23 | sein müssen. | ||||||
| 24 | Indessen kann man von diesen Begriffen wie von allem Erkenntniß, | ||||||
| 25 | wo nicht das Principium ihrer Möglichkeit, doch die Gelegenheitsursachen | ||||||
| 26 | ihrer Erzeugung in der Erfahrung aufsuchen, wo alsdann die Eindrücke | ||||||
| 27 | der Sinne den ersten Anlaß geben, die ganze Erkenntnißkraft in Ansehung | ||||||
| 28 | ihrer zu eröffnen und Erfahrung zu Stande zu bringen, die zwei | ||||||
| 29 | sehr ungleichartige Elemente enthält, nämlich eine Materie zur Erkenntniß | ||||||
| 30 | aus den Sinnen und eine gewisse Form, sie zu ordnen, aus dem | ||||||
| 31 | innern Quell des reinen Anschauens und Denkens, die bei Gelegenheit | ||||||
| 32 | der ersteren zuerst in Ausübung gebracht werden und Begriffe hervorbringen. | ||||||
| 33 | Ein solches Nachspüren der ersten Bestrebungen unserer Erkenntnißkraft, | ||||||
| 34 | um von einzelnen Wahrnehmungen zu allgemeinen Begriffen zu | ||||||
| 35 | steigen, hat ohne Zweifel seinen großen Nutzen, und man hat es dem berühmten | ||||||
| 36 | Locke zu verdanken, daß er dazu zuerst den Weg eröffnet hat. Allein | ||||||
| 37 | eine Deduction der reinen Begriffe a priori kommt dadurch niemals zu | ||||||
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