Kant: AA IV, Kritik der reinen Vernunft ... , Seite 052 |
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Text (Kant):
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| 01 | III |
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| 02 | Von der Eintheilung der allgemeinen Logik |
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| 03 | in |
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| 04 | Analytik und Dialektik. |
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| 05 | Die alte und berühmte Frage, womit man die Logiker in die Enge | ||||||
| 06 | zu treiben vermeinte und sie dahin zu bringen suchte, daß sie sich entweder | ||||||
| 07 | auf einer elenden Diallele mußten betreffen lassen, oder ihre Unwissenheit, | ||||||
| 08 | mithin die Eitelkeit ihrer ganzen Kunst bekennen sollten, ist | ||||||
| 09 | diese: Was ist Wahrheit? Die Namenerklärung der Wahrheit, daß sie | ||||||
| 10 | nämlich die Übereinstimmung der Erkenntniß mit ihrem Gegenstande sei, | ||||||
| 11 | wird hier geschenkt und vorausgesetzt; man verlangt aber zu wissen, welches | ||||||
| 12 | das allgemeine und sichere Kriterium der Wahrheit einer jeden Erkenntniß | ||||||
| 13 | sei. | ||||||
| 14 | Es ist schon ein großer und nöthiger Beweis der Klugheit oder Einsicht, | ||||||
| 15 | zu wissen, was man vernünftiger Weise fragen solle. Denn wenn | ||||||
| 16 | die Frage an sich ungereimt ist und unnöthige Antworten verlangt, so | ||||||
| 17 | hat sie außer der Beschämung dessen, der sie aufwirft, bisweilen noch den | ||||||
| 18 | Nachtheil, den unbehutsamen Anhörer derselben zu ungereimten Antworten | ||||||
| 19 | zu verleiten und den belachenswerthen Anblick zu geben, daß einer (wie | ||||||
| 20 | die Alten sagten) den Bock melkt, der andre ein Sieb unterhält. | ||||||
| 21 | Wenn Wahrheit in der Übereinstimmung einer Erkenntniß mit ihrem | ||||||
| 22 | Gegenstande besteht, so muß dadurch dieser Gegenstand von andern unterschieden | ||||||
| 23 | werden; denn eine Erkenntniß ist falsch, wenn sie mit dem Gegenstande, | ||||||
| 24 | worauf sie bezogen wird, nicht übereinstimmt, ob sie gleich etwas | ||||||
| 25 | enthält, was wohl von andern Gegenständen gelten könnte. Nun würde | ||||||
| 26 | ein allgemeines Kriterium der Wahrheit dasjenige sein, welches von allen | ||||||
| 27 | Erkenntnissen ohne Unterschied ihrer Gegenstände gültig wäre. Es ist | ||||||
| 28 | aber klar, daß, da man bei demselben von allem Inhalt der Erkenntniß | ||||||
| 29 | (Beziehung auf ihr Object) abstrahirt, und Wahrheit gerade diesen Inhalt | ||||||
| 30 | angeht, es ganz unmöglich und ungereimt sei, nach einem Merkmale | ||||||
| 31 | der Wahrheit dieses Inhalts der Erkenntnisse zu fragen, und daß also | ||||||
| 32 | ein hinreichendes und doch zugleich allgemeines Kennzeichen der Wahrheit | ||||||
| 33 | unmöglich angegeben werden könne. Da wir oben schon den Inhalt | ||||||
| 34 | einer Erkenntniß die Materie derselben genannt haben, so wird man | ||||||
| 35 | sagen müssen: von der Wahrheit der Erkenntniß der Materie nach läßt | ||||||
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