Kant: AA IV, Kritik der reinen Vernunft ... , Seite 048

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 unter welcher etwas angeschaut wird, und reiner Begriff allein die Form      
  02 des Denkens eines Gegenstandes überhaupt. Nur allein reine Anschauungen      
  03 oder Begriffe sind a priori möglich, empirische nur a posteriori.      
           
  04 Wollen wir die Receptivität unseres Gemüths, Vorstellungen zu      
  05 empfangen, so fern es auf irgend eine Weise afficirt wird, Sinnlichkeit      
  06 nennen, so ist dagegen das Vermögen, Vorstellungen selbst hervorzubringen,      
  07 oder die Spontaneität des Erkenntnisses der Verstand. Unsre Natur      
  08 bringt es so mit sich, daß die Anschauung niemals anders als sinnlich      
  09 sein kann, d. i. nur die Art enthält, wie wir von Gegenständen afficirt      
  10 werden. Dagegen ist das Vermögen, den Gegenstand sinnlicher Anschauung      
  11 zu denken, der Verstand. Keine dieser Eigenschaften ist der andern      
  12 vorzuziehen. Ohne Sinnlichkeit würde uns kein Gegenstand gegeben und      
  13 ohne Verstand keiner gedacht werden. Gedanken ohne Inhalt sind leer,      
  14 Anschauungen ohne Begriffe sind blind. Daher ist es eben so nothwendig,      
  15 seine Begriffe sinnlich zu machen (d. i. ihnen den Gegenstand in der Anschauung      
  16 beizufügen), als seine Anschauungen sich verständlich zu machen      
  17 (d. i. sie unter Begriffe zu bringen). Beide Vermögen oder Fähigkeiten      
  18 können auch ihre Functionen nicht vertauschen. Der Verstand vermag      
  19 nichts anzuschauen und die Sinne nichts zu denken. Nur daraus, daß sie      
  20 sich vereinigen, kann Erkenntniß entspringen. Deswegen darf man aber      
  21 doch nicht ihren Antheil vermischen, sondern man hat große Ursache, jedes      
  22 von dem andern sorgfältig abzusondern und zu unterscheiden. Daher      
  23 unterscheiden wir die Wissenschaft der Regeln der Sinnlichkeit überhaupt,      
  24 d. i. Ästhetik, von der Wissenschaft der Verstandesregeln überhaupt, d. i.      
  25 der Logik.      
           
  26 Die Logik kann nun wiederum in zwiefacher Absicht unternommen      
  27 werden, entweder als Logik des allgemeinen, oder des besonderen Verstandesgebrauchs.      
  28 Die erste enthält die schlechthin nothwendige Regeln      
  29 des Denkens, ohne welche gar kein Gebrauch des Verstandes statt findet,      
  30 und geht also auf diesen unangesehen der Verschiedenheit der Gegenstände,      
  31 auf welche er gerichtet sein mag. Die Logik des besonderen Verstandesgebrauchs      
  32 enthält die Regeln, über eine gewisse Art von Gegenständen      
  33 richtig zu denken. Jene kann man die Elementarlogik nennen, diese aber      
  34 das Organon dieser oder jener Wissenschaft. Die letztere wird mehrentheils      
  35 in den Schulen als Propädeutik der Wissenschaften vorangeschickt,      
  36 ob sie zwar nach dem Gange der menschlichen Vernunft das Späteste ist,      
  37 wozu sie allererst gelangt, wenn die Wissenschaft schon lange fertig ist und      
           
     

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