Kant: AA III, Kritik der reinen Vernunft ... , Seite 500 |
|||||||
Zeile:
|
Text (Kant):
|
|
|
||||
| 01 | und uns zu einem solchen a priori sich selbst erweiternden Urtheile | ||||||
| 02 | berechtigen könnte. Daß das Sonnenlicht, welches das Wachs beleuchtet, | ||||||
| 03 | es zugleich schmelze, indessen es den Thon härtet, könne kein Verstand aus | ||||||
| 04 | Begriffen, die wir vorher von diesen Dingen hatten, errathen, viel weniger | ||||||
| 05 | gesetzmäßig schließen, und nur Erfahrung könne uns ein solches Gesetz | ||||||
| 06 | lehren. Dagegen haben wir in der transscendentalen Logik gesehen: daß, | ||||||
| 07 | ob wir zwar niemals unmittelbar über den Inhalt des Begriffs, der | ||||||
| 08 | uns gegeben ist, hinausgehen können, wir doch völlig a priori, aber in | ||||||
| 09 | Beziehung auf ein drittes, nämlich mögliche Erfahrung, also doch a priori, | ||||||
| 10 | das Gesetz der Verknüpfung mit andern Dingen erkennen können. | ||||||
| 11 | Wenn also vorher festgewesenes Wachs schmilzt, so kann ich a priori erkennen, | ||||||
| 12 | daß etwas vorausgegangen sein müsse (z. B. Sonnenwärme), worauf | ||||||
| 13 | dieses nach einem beständigen Gesetze gefolgt ist, ob ich zwar ohne | ||||||
| 14 | Erfahrung aus der Wirkung weder die Ursache, noch aus der Ursache die | ||||||
| 15 | Wirkung a priori und ohne Belehrung der Erfahrung bestimmt erkennen | ||||||
| 16 | könnte. Er schloß also fälschlich aus der Zufälligkeit unserer Bestimmung | ||||||
| 17 | nach dem Gesetze auf die Zufälligkeit des Gesetzes selbst, und das Herausgehen | ||||||
| 18 | aus dem Begriffe eines Dinges auf mögliche Erfahrung (welches | ||||||
| 19 | a priori geschieht und die objective Realität desselben ausmacht) verwechselte | ||||||
| 20 | er mit der Synthesis der Gegenstände wirklicher Erfahrung, | ||||||
| 21 | welche freilich jederzeit empirisch ist; dadurch machte er aber aus einem | ||||||
| 22 | Princip der Affinität, welches im Verstande seinen Sitz hat und nothwendige | ||||||
| 23 | Verknüpfung aussagt, eine Regel der Association, die bloß in der | ||||||
| 24 | nachbildenden Einbildungskraft angetroffen wird und nur zufällige, gar | ||||||
| 25 | nicht objective Verbindungen darstellen kann. | ||||||
| 26 | Die sceptischen Verirrungen aber dieses sonst äußerst scharfsinnigen | ||||||
| 27 | Mannes entsprangen vornehmlich aus einem Mangel, den er doch mit | ||||||
| 28 | allen Dogmatikern gemein hatte, nämlich daß er nicht alle Arten der | ||||||
| 29 | Synthesis des Verstandes a priori systematisch übersah. Denn da würde | ||||||
| 30 | er, ohne der übrigen hier Erwähnung zu thun, z. B. den Grundsatz | ||||||
| 31 | der Beharrlichkeit als einen solchen gefunden haben, der eben sowohl | ||||||
| 32 | als der der Causalität die Erfahrung anticipirt. Dadurch würde er auch | ||||||
| 33 | dem a priori sich erweiternden Verstande und der reinen Vernunft bestimmte | ||||||
| 34 | Grenzen haben vorzeichnen können. Da er aber unsern Verstand | ||||||
| 35 | nur einschränkt, ohne ihn zu begrenzen, und zwar ein allgemeines | ||||||
| 36 | Mißtrauen, aber keine bestimmte Kenntniß der uns unvermeidlichen Unwissenheit | ||||||
| 37 | zu Stande bringt; da er einige Grundsätze des Verstandes | ||||||
| [ Seite 499 ] [ Seite 501 ] [ Inhaltsverzeichnis ] |
|||||||