Kant: AA III, Kritik der reinen Vernunft ... , Seite 495 |
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| 01 | es darauf auszusetzen, die Überzeugung und das Geständniß seiner Unwissenheit | ||||||
| 02 | nicht bloß als ein Heilmittel wider den dogmatischen Eigendünkel, | ||||||
| 03 | sondern zugleich als die Art, den Streit der Vernunft mit sich | ||||||
| 04 | selbst zu beendigen, empfehlen zu wollen, ist ein ganz vergeblicher Anschlag | ||||||
| 05 | und kann keinesweges dazu tauglich sein, der Vernunft einen Ruhestand | ||||||
| 06 | zu verschaffen, sondern ist höchstens nur ein Mittel, sie aus ihrem süßen | ||||||
| 07 | dogmatischen Traume zu erwecken, um ihren Zustand in sorgfältigere | ||||||
| 08 | Prüfung zu ziehen. Da indessen diese sceptische Manier, sich aus einem verdrießlichen | ||||||
| 09 | Handel der Vernunft zu ziehen, gleichsam der kurze Weg zu | ||||||
| 10 | sein scheint, zu einer beharrlichen philosophischen Ruhe zu gelangen, wenigstens | ||||||
| 11 | die Heeresstraße, welche diejenigen gern einschlagen, die sich in einer | ||||||
| 12 | spöttischen Verachtung aller Nachforschungen dieser Art ein philosophisches | ||||||
| 13 | Ansehen zu geben meinen, so finde ich es nöthig, diese Denkungsart in | ||||||
| 14 | ihrem eigenthümlichen Lichte darzustellen. | ||||||
| 15 | Von der Unmöglichkeit einer sceptischen Befriedigung |
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| 16 | der mit sich selbst veruneinigten reinen Vernunft. |
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| 17 | Das Bewußtsein meiner Unwissenheit (wenn diese nicht zugleich als | ||||||
| 18 | nothwendig erkannt wird), statt daß es meine Untersuchungen endigen | ||||||
| 19 | sollte, ist vielmehr die eigentliche Ursache, sie zu erwecken. Alle Unwissenheit | ||||||
| 20 | ist entweder die der Sachen, oder der Bestimmung und Grenzen | ||||||
| 21 | meiner Erkenntniß. Wenn die Unwissenheit nun zufällig ist, so muß sie | ||||||
| 22 | mich antreiben, im ersteren Falle den Sachen (Gegenständen) dogmatisch, | ||||||
| 23 | im zweiten den Grenzen meiner möglichen Erkenntniß kritisch | ||||||
| 24 | nachzuforschen. Daß aber meine Unwissenheit schlechthin nothwendig sei | ||||||
| 25 | und mich daher von aller weiteren Nachforschung freispreche, läßt sich nicht | ||||||
| 26 | empirisch, aus Beobachtung, sondern allein kritisch, durch Ergründung | ||||||
| 27 | der ersten Quellen unserer Erkenntniß, ausmachen. Also kann die | ||||||
| 28 | Grenzbestimmung unserer Vernunft nur nach Gründen a priori geschehen; | ||||||
| 29 | die Einschränkung derselben aber, welche eine, obgleich nur unbestimmte | ||||||
| 30 | Erkenntniß einer nie völlig zu hebenden Unwissenheit ist, kann auch a posteriori, | ||||||
| 31 | durch das, was uns bei allem Wissen immer noch zu wissen übrig | ||||||
| 32 | bleibt, erkannt werden. Jene durch Kritik der Vernunft selbst allein mögliche | ||||||
| 33 | Erkenntniß seiner Unwissenheit ist also Wissenschaft, diese ist nichts | ||||||
| 34 | als Wahrnehmung, von der man nicht sagen kann, wie weit der Schluß | ||||||
| 35 | als selbiger reichen möge. Wenn ich mir die Erdfläche (dem sinnlichen | ||||||
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