| Kant: AA III, Kritik der reinen Vernunft ... , Seite 424 | |||||||
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| 01 | Man sieht also hieraus wohl, daß transscendentale Fragen nur transscendentale | ||||||
| 02 | Antworten, d. i. aus lauter Begriffen a priori ohne die mindeste | ||||||
| 03 | empirische Beimischung, erlauben. Die Frage ist hier aber offenbar | ||||||
| 04 | synthetisch und verlangt eine Erweiterung unserer Erkenntniß über alle | ||||||
| 05 | Grenzen der Erfahrung hinaus, nämlich zu dem Dasein eines Wesens, | ||||||
| 06 | das unserer bloßen Idee entsprechen soll, der niemals irgend eine Erfahrung | ||||||
| 07 | gleichkommen kann. Nun ist nach unseren obigen Beweisen alle | ||||||
| 08 | synthetische Erkenntniß a priori nur dadurch möglich, daß sie die formalen | ||||||
| 09 | Bedingungen einer möglichen Erfahrung ausdrückt, und alle Grundsätze | ||||||
| 10 | sind also nur von immanenter Gültigkeit, d. i. sie beziehen sich lediglich | ||||||
| 11 | auf Gegenstände empirischer Erkenntniß oder Erscheinungen. Also wird | ||||||
| 12 | auch durch transscendentales Verfahren in Absicht auf die Theologie einer | ||||||
| 13 | bloß speculativen Vernunft nichts ausgerichtet. | ||||||
| 14 | Wollte man aber lieber alle obige Beweise der Analytik in Zweifel | ||||||
| 15 | ziehen, als sich die Überredung von dem Gewichte der so lange gebrauchten | ||||||
| 16 | Beweisgründe rauben lassen: so kann man sich doch nicht weigern, der | ||||||
| 17 | Aufforderung ein Genüge zu thun, wenn ich verlange, man solle sich wenigstens | ||||||
| 18 | darüber rechtfertigen, wie und vermittelst welcher Erleuchtung | ||||||
| 19 | man sich denn getraue, alle mögliche Erfahrung durch die Macht bloßer | ||||||
| 20 | Ideen zu überfliegen. Mit neuen Beweisen oder ausgebesserter Arbeit | ||||||
| 21 | alter Beweise würde ich bitten mich zu verschonen. Denn ob man zwar | ||||||
| 22 | hierin eben nicht viel zu wählen hat, indem endlich doch alle bloß speculative | ||||||
| 23 | Beweise auf einen einzigen, nämlich den ontologischen, hinauslaufen, | ||||||
| 24 | und ich also eben nicht fürchten darf, sonderlich durch die Fruchtbarkeit der | ||||||
| 25 | dogmatischen Verfechter jener sinnenfreien Vernunft belästigt zu werden; | ||||||
| 26 | obgleich ich überdem auch, ohne mich darum sehr streitbar zu dünken, die | ||||||
| 27 | Ausforderung nicht ausschlagen will, in jedem Versuche dieser Art den Fehlschluß | ||||||
| 28 | aufzudecken und dadurch seine Anmaßung zu vereiteln: so wird daher | ||||||
| 29 | doch die Hoffnung besseren Glücks bei denen, welche einmal dogmatischer | ||||||
| 30 | Überredungen gewohnt sind, niemals völlig aufgehoben; und ich halte mich | ||||||
| 31 | daher an der einzigen billigen Forderung, daß man sich allgemein und | ||||||
| 32 | aus der Natur des menschlichen Verstandes sammt allen übrigen Erkenntnißquellen | ||||||
| 33 | darüber rechtfertige, wie man es anfangen wolle, sein Erkenntniß | ||||||
| 34 | ganz und gar a priori zu erweitern und bis dahin zu erstrecken, wo | ||||||
| 35 | keine mögliche Erfahrung und mithin kein Mittel hinreicht, irgend einem | ||||||
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