Kant: AA III, Kritik der reinen Vernunft ... , Seite 421 |
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| 01 | Daher steigt sie von dieser Welt zur höchsten Intelligenz auf, entweder | ||||||
| 02 | als dem Princip aller natürlichen, oder aller sittlichen Ordnung | ||||||
| 03 | und Vollkommenheit. Im ersteren Falle heißt sie Physikotheologie, | ||||||
| 04 | im letzten Moraltheologie *). | ||||||
| 05 | Da man unter dem Begriffe von Gott nicht etwa bloß eine blindwirkende | ||||||
| 06 | ewige Natur als die Wurzel der Dinge, sondern ein höchstes | ||||||
| 07 | Wesen, das durch Verstand und Freiheit der Urheber der Dinge sein soll, | ||||||
| 08 | zu verstehen gewohnt ist, und auch dieser Begriff allein uns interessirt, so | ||||||
| 09 | könnte man nach der Strenge dem Deisten allen Glauben an Gott absprechen | ||||||
| 10 | und ihm lediglich die Behauptung eines Urwesens oder obersten | ||||||
| 11 | Ursache übrig lassen. Indessen da niemand darum, weil er etwas sich | ||||||
| 12 | nicht zu behaupten getrauet, beschuldigt werden darf, er wolle es gar | ||||||
| 13 | leugnen, so ist es gelinder und billiger, zu sagen: der Deist glaube einen | ||||||
| 14 | Gott, der Theist aber einen lebendigen Gott ( summam intelligentiam ). | ||||||
| 15 | Jetzt wollen wir die möglichen Quellen aller dieser Versuche der | ||||||
| 16 | Vernunft aufsuchen. | ||||||
| 17 | Ich begnüge mich hier, die theoretische Erkenntniß durch eine solche | ||||||
| 18 | zu erklären, wodurch ich erkenne, was da ist, die praktische aber, dadurch | ||||||
| 19 | ich mir vorstelle, was dasein soll. Diesemnach ist der theoretische Gebrauch | ||||||
| 20 | der Vernunft derjenige, durch den ich a priori (als nothwendig) | ||||||
| 21 | erkenne, daß etwas sei; der praktische aber, durch den a priori erkannt | ||||||
| 22 | wird, was geschehen solle. Wenn nun entweder, daß etwas sei oder ge/schehen | ||||||
| 23 | solle, ungezweifelt gewiß, aber doch nur bedingt ist: so kann doch | ||||||
| 24 | entweder eine gewisse bestimmte Bedingung dazu schlechthin nothwendig | ||||||
| 25 | sein, oder sie kann nur als beliebig und zufällig vorausgesetzt werden. Im | ||||||
| 26 | ersteren Falle wird die Bedingung postulirt ( per thesin ), im zweiten supponirt | ||||||
| 27 | ( per hypothesin ). Da es praktische Gesetze giebt, die schlechthin | ||||||
| 28 | nothwendig sind (die moralische), so muß, wenn diese irgend ein Dasein | ||||||
| 29 | als die Bedingung der Möglichkeit ihrer verbindenden Kraft nothwendig | ||||||
| 30 | voraussetzen, dieses Dasein postulirt werden, darum weil das Bedingte, | ||||||
| 31 | von welchem der Schluß auf diese bestimmte Bedingung geht, selbst | ||||||
| *) Nicht theologische Moral; denn die enthält sittliche Gesetze, welche das Dasein eines höchsten Weltregierers voraussetzen, da hingegen die Moraltheologie eine Überzeugung vom Dasein eines höchsten Wesens ist, welche sich auf sittliche Gesetze gründet. | |||||||
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