Kant: AA III, Kritik der reinen Vernunft ... , Seite 404

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 vorhergegangen, und wäre nicht die Vernunft, da diese Nothwendigkeit      
  02 unbedingt und a priori gewiß sein muß, gezwungen worden, einen Begriff      
  03 zu suchen, der wo möglich einer solchen Forderung ein Genüge thäte und      
  04 ein Dasein völlig a priori zu erkennen gäbe. Diesen glaubte man nun      
  05 in der Idee eines allerrealsten Wesens zu finden, und so wurde diese nur      
  06 zur bestimmteren Kenntniß desjenigen, wovon man schon anderweitig      
  07 überzeugt oder überredet war, es müsse existiren, nämlich des nothwendigen      
  08 Wesens gebraucht. Indeß verhehlte man diesen natürlichen Gang der      
  09 Vernunft, und anstatt bei diesem Begriffe zu endigen, versuchte man von      
  10 ihm anzufangen, um die Nothwendigkeit des Daseins aus ihm abzuleiten,      
  11 die er doch nur zu ergänzen bestimmt war. Hieraus entsprang nun der verunglückte      
  12 ontologische Beweis, der weder für den natürlichen und gesunden      
  13 Verstand, noch für die schulgerechte Prüfung etwas Genugthuendes      
  14 bei sich führt.      
           
  15 Der kosmologische Beweis, den wir jetzt untersuchen wollen, behält      
  16 die Verknüpfung der absoluten Nothwendigkeit mit der höchsten Realität      
  17 bei; aber anstatt wie der vorige von der höchsten Realität auf die Nothwendigkeit      
  18 im Dasein zu schließen, schließt er vielmehr von der zum voraus      
  19 gegebenen unbedingten Nothwendigkeit irgend eines Wesens auf dessen      
  20 unbegränzte Realität und bringt so fern alles wenigstens in das Geleis      
  21 einer, ich weiß nicht ob vernünftigen oder vernünftelnden, wenigstens natürlichen      
  22 Schlußart, welche nicht allein für den gemeinen, sondern auch      
  23 den speculativen Verstand die meiste Überredung bei sich führt; wie sie      
  24 denn auch sichtbarlich zu allen Beweisen der natürlichen Theologie die      
  25 ersten Grundlinien zieht, denen man jederzeit nachgegangen ist und ferner      
  26 nachgehen wird, man mag sie nun durch noch so viel Laubwerk und      
  27 Schnörkel verzieren und verstecken, als man immer will. Diesen Beweis,      
  28 den Leibniz auch den a contingentia mundi nannte, wollen wir jetzt vor      
  29 Augen stellen und der Prüfung unterwerfen.      
           
  30 Er lautet also: Wenn etwas existirt, so muß auch ein schlechterdings      
  31 nothwendiges Wesen existiren. Nun existire zum mindesten ich selbst:      
  32 also existirt ein absolut nothwendiges Wesen. Der Untersatz enthält eine      
  33 Erfahrung, der Obersatz die Schlußfolge aus einer Erfahrung überhaupt      
  34 auf das Dasein des Nothwendigen*). Also hebt der Beweis eigentlich      
           
    *) Diese Schlußfolge ist zu bekannt, als daß es nöthig wäre, sie hier weitläuftig vorzutragen. Sie beruht auf dem vermeintlich transscendentalen Naturgesetz [Seitenumbruch] der Causalität: daß alles Zufällige seine Ursache habe, die, wenn sie wiederum zufällig ist, eben sowohl eine Ursache haben muß, bis die Reihe der einander untergeordneten Ursachen sich bei einer schlechthin nothwendigen Ursache endigen muß, ohne welche sie keine Vollständigkeit haben würde.      
           
     

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