Kant: AA III, Kritik der reinen Vernunft ... , Seite 365 |
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| 01 | Verhältniß der Bedingung zum Bedingten ankommt, so daß wir in der | ||||||
| 02 | Frage über Natur und Freiheit schon die Schwierigkeit antreffen, ob Freiheit | ||||||
| 03 | überall nur möglich sei, und ob, wenn sie es ist, sie mit der Allgemeinheit | ||||||
| 04 | des Naturgesetzes der Causalität zusammen bestehen könne; mithin ob | ||||||
| 05 | es ein richtig disjunctiver Satz sei, daß eine jede Wirkung in der Welt | ||||||
| 06 | entweder aus Natur, oder aus Freiheit entspringen müsse, oder ob nicht | ||||||
| 07 | vielmehr beides in verschiedener Beziehung bei einer und derselben Begebenheit | ||||||
| 08 | zugleich stattfinden könne. Die Richtigkeit jenes Grundsatzes | ||||||
| 09 | von dem durchgängigen Zusammenhange aller Begebenheiten der Sinnenwelt | ||||||
| 10 | nach unwandelbaren Naturgesetzen steht schon als ein Grundsatz der | ||||||
| 11 | transscendentalen Analytik fest und leidet keinen Abbruch. Es ist also nur | ||||||
| 12 | die Frage: ob dem ungeachtet in Ansehung eben derselben Wirkung, die | ||||||
| 13 | nach der Natur bestimmt ist, auch Freiheit stattfinden könne, oder diese | ||||||
| 14 | durch jene unverletzliche Regel völlig ausgeschlossen sei. Und hier zeigt die | ||||||
| 15 | zwar gemeine, aber betrügliche Voraussetzung der absoluten Realität | ||||||
| 16 | der Erscheinungen sogleich ihren nachtheiligen Einfluß, die Vernunft zu | ||||||
| 17 | verwirren. Denn sind Erscheinungen Dinge an sich selbst, so ist Freiheit | ||||||
| 18 | nicht zu retten. Alsdann ist Natur die vollständige und an sich hinreichend | ||||||
| 19 | bestimmende Ursache jeder Begebenheit, und die Bedingung derselben ist | ||||||
| 20 | jederzeit nur in der Reihe der Erscheinungen enthalten, die sammt ihrer | ||||||
| 21 | Wirkung unter dem Naturgesetze nothwendig sind. Wenn dagegen Erscheinungen | ||||||
| 22 | für nichts mehr gelten, als sie in der That sind, nämlich nicht | ||||||
| 23 | für Dinge an sich, sondern bloße Vorstellungen, die nach empirischen Gesetzen | ||||||
| 24 | zusammenhängen, so müssen sie selbst noch Gründe haben, die nicht | ||||||
| 25 | Erscheinungen sind. Eine solche intelligibele Ursache aber wird in Ansehung | ||||||
| 26 | ihrer Causalität nicht durch Erscheinungen bestimmt, obzwar ihre | ||||||
| 27 | Wirkungen erscheinen und sie durch andere Erscheinungen bestimmt werden | ||||||
| 28 | können. Sie ist also sammt ihrer Causalität außer der Reihe, dagegen | ||||||
| 29 | ihre Wirkungen in der Reihe der empirischen Bedingungen angetroffen | ||||||
| 30 | werden. Die Wirkung kann also in Ansehung ihrer intelligibelen Ursache | ||||||
| 31 | als frei und doch zugleich in Ansehung der Erscheinungen als Erfolg aus | ||||||
| 32 | denselben nach der Nothwendigkeit der Natur angesehen werden; eine Unterscheidung, | ||||||
| 33 | die, wenn sie im Allgemeinen und ganz abstract vorgetragen | ||||||
| 34 | wird, äußerst subtil und dunkel scheinen muß, die sich aber in der Anwendung | ||||||
| 35 | aufklären wird. Hier habe ich nur die Anmerkung machen wollen: | ||||||
| 36 | daß, da der durchgängige Zusammenhang aller Erscheinungen in einem | ||||||
| 37 | Context der Natur ein unnachlaßliches Gesetz ist, dieses alle Freiheit nothwendig | ||||||
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