Kant: AA III, Kritik der reinen Vernunft ... , Seite 305

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01
Anmerkung zur zweiten Antinomie.
     
           
  02
IIzur Antithesis.
     
           
  03 Wider diesen Satz einer unendlichen Theilung der Materie, dessen      
  04 Beweisgrund bloß mathematisch ist, werden von den Monadisten Einwürfe      
  05 vorgebracht, welche sich dadurch schon verdächtig machen, daß sie die      
  06 klärsten mathematischen Beweise nicht für Einsichten in die Beschaffenheit      
  07 des Raumes, so fern er in der That die formale Bedingung der Möglichkeit      
  08 aller Materie ist, wollen gelten lassen, sondern sie nur als Schlüsse      
  09 aus abstracten, aber willkürlichen Begriffen ansehen, die auf wirkliche      
  10 Dinge nicht bezogen werden könnten. Gleich als wenn es auch nur möglich      
  11 wäre, eine andere Art der Anschauung zu erdenken, als die in der ursprünglichen      
  12 Anschauung des Raumes gegeben wird, und die Bestimmungen      
  13 desselben a priori nicht zugleich alles dasjenige beträfen, was dadurch      
  14 allein möglich ist, daß es diesen Raum erfüllt. Wenn man ihnen Gehör      
  15 giebt, so müßte man außer dem mathematischen Punkte, der einfach, aber      
  16 kein Theil, sondern bloß die Grenze eines Raums ist, sich noch physische      
  17 Punkte denken, die zwar auch einfach sind, aber den Vorzug haben, als      
  18 Theile des Raums durch ihre bloße Aggregation denselben zu erfüllen.      
  19 Ohne nun hier die gemeinen und klaren Widerlegungen dieser Ungereimtheit,      
  20 die man in Menge antrifft, zu wiederholen, wie es denn gänzlich      
  21 umsonst ist, durch bloß discursive Begriffe die Evidenz der Mathematik      
  22 weg vernünfteln zu wollen, so bemerke ich nur, daß, wenn die Philosophie      
  23 hier mit der Mathematik chicanirt, es darum geschehe, weil sie vergißt,      
  24 daß es in dieser Frage nur um Erscheinungen und deren Bedingung      
  25 zu thun sei. Hier ist es aber nicht genug, zum reinen Verstandesbegriffe      
  26 des Zusammengesetzten den Begriff des Einfachen, sondern zur      
  27 Anschauung des Zusammengesetzten (der Materie) die Anschauung des      
  28 Einfachen zu finden; und dieses ist nach Gesetzen der Sinnlichkeit, mithin      
  29 auch bei Gegenständen der Sinne gänzlich unmöglich. Es mag also von      
  30 einem Ganzen aus Substanzen, welches bloß durch den reinen Verstand      
  31 gedacht wird, immer gelten, daß wir vor aller Zusammensetzung desselben      
  32 das Einfache haben müssen; so gilt dieses doch nicht vom totum substantiale      
  33 phaenomenon , welches als empirische Anschauung im Raume die      
  34 nothwendige Eigenschaft bei sich führt, daß kein Theil desselben einfach ist,      
           
     

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