Kant: AA III, Kritik der reinen Vernunft ... , Seite 277

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 nur so lange erhalten kann, als sie ihn als einen Kreisel um denselben      
  02 sich unaufhörlich drehen läßt, und er in ihren eigenen Augen also      
  03 keine beharrliche Grundlage abgiebt, worauf etwas gebauet werden könnte.      
  04 Die Beweise, die für die Welt brauchbar sind, bleiben hiebei alle in ihrem      
  05 unverminderten Werthe und gewinnen vielmehr durch Abstellung jener      
  06 dogmatischen Anmaßungen an Klarheit und ungekünstelter Überzeugung,      
  07 indem sie die Vernunft in ihr eigenthümliches Gebiet, nämlich die Ordnung      
  08 der Zwecke, die doch zugleich eine Ordnung der Natur ist, versetzen,      
  09 die dann aber zugleich, als praktisches Vermögen an sich selbst, ohne auf      
  10 die Bedingungen der letzteren eingeschränkt zu sein, die erstere und mit ihr      
  11 unsere eigene Existenz über die Grenzen der Erfahrung und des Lebens      
  12 hinaus zu erweitern berechtigt ist. Nach der Analogie mit der Natur      
  13 lebender Wesen in dieser Welt, an welchen die Vernunft es nothwendig      
  14 zum Grundsatze annehmen muß, daß kein Organ, kein Vermögen, kein      
  15 Antrieb, also nichts Entbehrliches oder für den Gebrauch Unproportionirtes,      
  16 mithin Unzweckmäßiges anzutreffen, sondern alles seiner Bestimmung      
  17 im Leben genau angemessen sei, zu urtheilen, müßte der Mensch,      
  18 der doch allein den letzten Endzweck von allem diesem in sich enthalten      
  19 kann, das einzige Geschöpf sein, welches davon ausgenommen wäre. Denn      
  20 seine Naturanlagen, nicht bloß den Talenten und Antrieben nach, davon      
  21 Gebrauch zu machen, sondern vornehmlich das moralische Gesetz in ihm,      
  22 gehen so weit über allen Nutzen und Vortheil, den er in diesem Leben daraus      
  23 ziehen könnte, daß das letztere sogar das bloße Bewußtsein der Rechtschaffenheit      
  24 der Gesinnung bei Ermangelung aller Vortheile, selbst sogar      
  25 des Schattenwerks vom Nachruhm über alles hochschätzen lehrt und er sich      
  26 innerlich dazu berufen fühlt, sich durch sein Verhalten in dieser Welt mit      
  27 Verzichtthuung auf viele Vortheile zum Bürger einer besseren, die er in      
  28 der Idee hat, tauglich zu machen. Dieser mächtige, niemals zu widerlegende      
  29 Beweisgrund, begleitet durch eine sich unaufhörlich vermehrende      
  30 Erkenntniß der Zweckmäßigkeit in allem, was wir vor uns sehen, und      
  31 durch eine Aussicht in die Unermeßlichkeit der Schöpfung, mithin auch      
  32 durch das Bewußtsein einer gewissen Unbegrenztheit in der möglichen Erweiterung      
  33 unserer Kenntnisse sammt einem dieser angemessenen Triebe,      
  34 bleibt immer noch übrig, wenn wir es gleich aufgeben müssen, die nothwendige      
  35 Fortdauer unserer Existenz aus der bloß theoretischen Erkenntniß      
  36 unserer selbst einzusehen.      
           
           
     

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