| Kant: AA III, Kritik der reinen Vernunft ... , Seite 236 | |||||||
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| 01 | Gebrauch oder Mißbrauch der Kategorien, welcher ein bloßer Fehler der | ||||||
| 02 | nicht gehörig durch Kritik gezügelten Urtheilskraft ist, die auf die Grenze | ||||||
| 03 | des Bodens, worauf allein dem reinen Verstande sein Spiel erlaubt ist, | ||||||
| 04 | nicht genug Acht hat; sondern wirkliche Grundsätze, die uns zumuthen, | ||||||
| 05 | alle jene Grenzpfähle niederzureißen und sich einen ganz neuen Boden, | ||||||
| 06 | der überall keine Demarcation erkennt, anzumaßen. Daher sind transscendental | ||||||
| 07 | und transscendent nicht einerlei. Die Grundsätze des | ||||||
| 08 | reinen Verstandes, die wir oben vortrugen, sollen bloß von empirischem | ||||||
| 09 | und nicht von transscendentalem, d. i. über die Erfahrungsgrenze hinausreichendem, | ||||||
| 10 | Gebrauche sein. Ein Grundsatz aber, der diese Schranken | ||||||
| 11 | wegnimmt, ja gar sie zu überschreiten gebietet, heißt transscendent. | ||||||
| 12 | Kann unsere Kritik dahin gelangen, den Schein dieser angemaßten Grundsätze | ||||||
| 13 | aufzudecken, so werden jene Grundsätze des bloß empirischen Gebrauchs | ||||||
| 14 | im Gegensatz mit den letztern immanente Grundsätze des reinen | ||||||
| 15 | Verstandes genannt werden können. | ||||||
| 16 | Der logische Schein, der in der bloßen Nachahmung der Vernunftform | ||||||
| 17 | besteht, (der Schein der Trugschlüsse) entspringt lediglich aus einem | ||||||
| 18 | Mangel der Achtsamkeit auf die logische Regel. So bald daher diese auf | ||||||
| 19 | den vorliegenden Fall geschärft wird, so verschwindet er gänzlich. Der | ||||||
| 20 | transscendentale Schein dagegen hört gleichwohl nicht auf, ob man ihn | ||||||
| 21 | schon aufgedeckt und seine Nichtigkeit durch die transscendentale Kritik | ||||||
| 22 | deutlich eingesehen hat (z. B. der Schein in dem Satze: die Welt muß der | ||||||
| 23 | Zeit nach einen Anfang haben). Die Ursache hievon ist diese: daß in unserer | ||||||
| 24 | Vernunft (subjectiv als ein menschliches Erkenntnißvermögen betrachtet) | ||||||
| 25 | Grundregeln und Maximen ihres Gebrauchs liegen, welche gänzlich | ||||||
| 26 | das Ansehen objectiver Grundsätze haben, und wodurch es geschieht, | ||||||
| 27 | daß die subjective Nothwendigkeit einer gewissen Verknüpfung unserer | ||||||
| 28 | Begriffe zu Gunsten des Verstandes für eine objective Nothwendigkeit | ||||||
| 29 | der Bestimmung der Dinge an sich selbst gehalten wird. Eine Illusion, | ||||||
| 30 | die gar nicht zu vermeiden ist, so wenig als wir es vermeiden können, daß | ||||||
| 31 | uns das Meer in der Mitte nicht höher scheine, wie an dem Ufer, weil | ||||||
| 32 | wir jene durch höhere Lichtstrahlen als dieses sehen, oder noch mehr, so | ||||||
| 33 | wenig selbst der Astronom verhindern kann, daß ihm der Mond im Aufgange | ||||||
| 34 | nicht größer Scheine, ob er gleich durch diesen Schein nicht betrogen | ||||||
| 35 | wird. | ||||||
| 36 | Die transscendentale Dialektik wird also sich damit begnügen, den | ||||||
| 37 | Schein transscendenter Urtheile aufzudecken und zugleich zu verhüten, daß | ||||||
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