Kant: AA III, Kritik der reinen Vernunft ... , Seite 227

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 diese sind eben darum besondere Begriffe, weil sie mehr in sich enthalten,      
  02 als im allgemeinen gedacht wird. Nun ist doch wirklich auf diesen letzteren      
  03 Grundsatz das ganze intellectuelle System Leibnizens erbauet; es fällt      
  04 also zugleich mit demselben sammt aller aus ihm entspringenden Zweideutigkeit      
  05 im Verstandesgebrauche.      
           
  06 Der Satz des Nichtzuunterscheidenden gründete sich eigentlich auf der      
  07 Voraussetzung: daß, wenn in dem Begriffe von einem Dinge überhaupt      
  08 eine gewisse Unterscheidung nicht angetroffen wird, so sei sie auch nicht in      
  09 den Dingen selbst anzutreffen; folglich seien alle Dinge völlig einerlei      
  10 ( numero eadem ), die sich nicht schon in ihrem Begriffe (der Qualität oder      
  11 Quantität nach) von einander unterscheiden. Weil aber bei dem bloßen      
  12 Begriffe von irgend einem Dinge von manchen nothwendigen Bedingungen      
  13 einer Anschauung abstrahirt worden, so wird durch eine sonderbare      
  14 Übereilung das, wovon abstrahirt wird, dafür genommen, daß es überall      
  15 nicht anzutreffen sei, und dem Dinge nichts eingeräumt, als was in seinem      
  16 Begriffe enthalten ist.      
           
  17 Der Begriff von einem Kubikfuße Raum, ich mag mir diesen denken,      
  18 wo und wie oft ich wolle, ist an sich völlig einerlei. Allein zwei Kubikfüße      
  19 sind im Raume dennoch bloß durch ihre Örter unterschieden ( numero      
  20 diversa ); diese sind Bedingungen der Anschauung, worin das Object dieses      
  21 Begriffs gegeben wird, die nicht zum Begriffe, aber doch zur ganzen Sinnlichkeit      
  22 gehören. Gleichergestalt ist in dem Begriffe von einem Dinge      
  23 gar kein Widerstreit, wenn nichts Verneinendes mit einem bejahenden      
  24 verbunden worden, und bloß bejahende Begriffe können in Verbindung      
  25 gar keine Aufhebung bewirken. Allein in der sinnlichen Anschauung, darin      
  26 Realität (z. B. Bewegung) gegeben wird, finden sich Bedingungen      
  27 (entgegengesetzte Richtungen), von denen im Begriffe der Bewegung überhaupt      
  28 abstrahirt war, die einen Widerstreit, der freilich nicht logisch ist,      
  29 nämlich aus lauter Positivem ein Zero = 0, möglich machen; und man      
  30 konnte nicht sagen: daß darum alle Realität unter einander in Einstimmung      
  31 sei, weil unter ihren Begriffen kein Widerstreit angetroffen wird.*)      
           
    *) Wollte man sich hier der gewöhnlichen Ausflucht bedienen, daß wenigstens realitates noumena einander nicht entgegen wirken können: so müßte man doch ein Beispiel von dergleichen reiner und sinnenfreier Realität anführen, damit man verstände, ob eine solche überhaupt etwas oder gar nichts vorstelle. Aber es kann kein Beispiel woher anders, als aus der Erfahrung genommen werden, die niemals [Seitenumbruch] mehr als Phaenomena darbietet, und so bedeutet dieser Satz nichts weiter, als da der Begriff, der lauter Bejahungen enthält, nichts verneinendes enthalte; ein Satz, an dem wir niemals gezweifelt haben.      
           
     

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