Kant: AA III, Kritik der reinen Vernunft ... , Seite 221

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 an sich selbst, obgleich von der Erkenntniß durch den Verstand der logischen      
  02 Form nach unterschieden, da nämlich jene bei ihrem gewöhnlichen      
  03 Mangel der Zergliederung eine gewisse Vermischung von Nebenvorstellungen      
  04 in den Begriff des Dinges zieht, die der Verstand davon abzusondern      
  05 weiß. Mit einem Worte: Leibniz intellectuirte die Erscheinungen, so      
  06 wie Locke die Verstandesbegriffe nach seinem System der Noogonie      
  07 (wenn es mir erlaubt ist, mich dieser Ausdrücke zu bedienen) insgesammt      
  08 sensificirt, d. i. für nichts als empirische oder abgesonderte Reflexionsbegriffe      
  09 ausgegeben hatte. Anstatt im Verstande und der Sinnlichkeit      
  10 zwei ganz verschiedene Quellen von Vorstellungen zu suchen, die aber nur      
  11 in Verknüpfung objectiv gültig von Dingen urtheilen könnten, hielt      
  12 sich ein jeder dieser großen Männer nur an eine von beiden, die sich ihrer      
  13 Meinung nach unmittelbar auf Dinge an sich selbst bezöge, indessen daß      
  14 die andere nichts that, als die Vorstellungen der ersteren zu verwirren      
  15 oder zu ordnen.      
           
  16 Leibniz verglich demnach die Gegenstände der Sinne als Dinge      
  17 überhaupt bloß im Verstande unter einander. Erstlich, so fern sie von      
  18 diesem als einerlei oder verschieden geurtheilt werden sollen. Da er also      
  19 lediglich ihre Begriffe und nicht ihre Stelle in der Anschauung, darin die      
  20 Gegenstände allein gegeben werden können, vor Augen hatte und den      
  21 transscendentalen Ort dieser Begriffe (ob das Object unter Erscheinungen,      
  22 oder unter Dinge an sich selbst zu zählen sei) gänzlich aus der Acht ließ,      
  23 so konnte es nicht anders ausfallen, als daß er seinen Grundsatz des Nichtzuunterscheidenden,      
  24 der bloß von Begriffen der Dinge überhaupt gilt, auch      
  25 auf die Gegenstände der Sinne ( mundus phaenomenon ) ausdehnte und      
  26 der Naturerkenntniß dadurch keine geringe Erweiterung verschafft zu haben      
  27 glaubte. Freilich, wenn ich einen Tropfen Wasser als ein Ding an      
  28 sich selbst nach allen seinen innern Bestimmungen kenne, so kann ich keinen      
  29 derselben von dem andern für verschieden gelten lassen, wenn der ganze      
  30 Begriff desselben mit ihm einerlei ist. Ist er aber Erscheinung im Raume,      
  31 so hat er seinen Ort nicht bloß im Verstande (unter Begriffen), sondern      
  32 in der sinnlichen äußeren Anschauung (im Raume); und da sind die physischen      
  33 Örter in Ansehung der inneren Bestimmungen der Dinge ganz      
  34 gleichgültig, und ein Ort = b kann ein Ding, welches einem andern in      
  35 dem Orte = a völlig ähnlich und gleich ist, eben sowohl aufnehmen, als      
  36 wenn es von diesem noch so sehr innerlich verschieden wäre. Die Verschiedenheit      
  37 der Örter macht die Vielheit und Unterscheidung der Gegenstände      
           
     

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