Kant: AA III, Kritik der reinen Vernunft ... , Seite 197 |
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| 01 | Vernunft zu, die über allen möglichen empirischen Verstandesgebrauch | ||||||
| 02 | hinausgeht. Daher haben wir uns hiebei mit einer bloß kritischen Anmerkung | ||||||
| 03 | begnügen müssen, übrigens aber die Sache bis zum weiteren | ||||||
| 04 | künftigen Verfahren in der Dunkelheit gelassen. | ||||||
| 05 | Da ich eben diese vierte Nummer und mit ihr zugleich das System | ||||||
| 06 | aller Grundsätze des reinen Verstandes schließen will, so muß ich noch | ||||||
| 07 | Grund angeben, warum ich die Principien der Modalität gerade Postulate | ||||||
| 08 | genannt habe. Ich will diesen Ausdruck hier nicht in der Bedeutung | ||||||
| 09 | nehmen, welche ihm einige neuere philosophische Verfasser wider den Sinn | ||||||
| 10 | der Mathematiker, denen er doch eigentlich angehört, gegeben haben, nämlich: | ||||||
| 11 | daß Postuliren so viel heißen solle, als einen Satz für unmittelbar | ||||||
| 12 | gewiß ohne Rechtfertigung oder Beweis ausgeben; denn wenn wir das | ||||||
| 13 | bei synthetischen Sätzen, so evident sie auch sein mögen, einräumen sollten, | ||||||
| 14 | daß man sie ohne Deduction auf das Ansehen ihres eigenen Ausspruchs | ||||||
| 15 | dem unbedingten Beifalle aufheften dürfe, so ist alle Kritik des Verstandes | ||||||
| 16 | verloren und da es an dreusten Anmaßungen nicht fehlt, deren sich | ||||||
| 17 | auch der gemeine Glaube (der aber kein Creditiv ist) nicht weigert: so | ||||||
| 18 | wird unser Verstand jedem Wahne offen stehen, ohne daß er seinen Beifall | ||||||
| 19 | den Aussprüchen versagen kann, die, obgleich unrechtmäßig, doch in | ||||||
| 20 | eben demselben Tone der Zuversicht als wirkliche Axiomen eingelassen zu | ||||||
| 21 | werden verlangen. Wenn also zu dem Begriffe eines Dinges eine Bestimmung | ||||||
| 22 | a priori synthetisch hinzukommt, so muß von einem solchen | ||||||
| 23 | Satze, wo nicht ein Beweis, doch wenigstens eine Deduction der Rechtmäßigkeit | ||||||
| 24 | seiner Behauptung unnachlaßlich hinzugefügt werden. | ||||||
| 25 | Die Grundsätze der Modalität sind aber nicht objectiv=synthetisch, | ||||||
| 26 | weil die Prädicate der Möglichkeit, Wirklichkeit und Nothwendigkeit den | ||||||
| 27 | Begriff, von dem sie gesagt werden, nicht im mindesten vermehren, dadurch | ||||||
| 28 | daß sie der Vorstellung des Gegenstandes noch etwas hinzusetzten. Da sie | ||||||
| 29 | aber gleichwohl doch immer synthetisch sind, so sind sie es nur subjectiv, | ||||||
| 30 | d. i. sie fügen zu dem Begriffe eines Dinges (Realen), von dem sie sonst | ||||||
| 31 | nichts sagen, die Erkenntnißkraft hinzu, worin er entspringt und seinen | ||||||
| 32 | Sitz hat: so daß, wenn er bloß im Verstande mit den formalen Bedingungen | ||||||
| 33 | der Erfahrung in Verknüpfung ist, sein Gegenstand möglich heißt; | ||||||
| 34 | ist er mit der Wahrnehmung (Empfindung als Materie der Sinne) im | ||||||
| 35 | Zusammenhange und durch dieselbe vermittelst des Verstandes bestimmt, | ||||||
| 36 | so ist das Object wirklich; ist er durch den Zusammenhang der Wahrnehmungen | ||||||
| 37 | nach Begriffen bestimmt, so heißt der Gegenstand nothwendig. | ||||||
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