Kant: AA III, Kritik der reinen Vernunft ... , Seite 189

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 aber nur die Form von einem Gegenstande ist, so würde er doch immer      
  02 nur ein Product der Einbildung bleiben, von dessen Gegenstand die Möglichkeit      
  03 noch zweifelhaft bliebe, als wozu noch etwas mehr erfordert wird,      
  04 nämlich daß eine solche Figur unter lauter Bedingungen, auf denen alle      
  05 Gegenstände der Erfahrung beruhen, gedacht sei. Daß nun der Raum      
  06 eine formale Bedingung a priori von äußeren Erfahrungen sei, daß eben      
  07 dieselbe bildende Synthesis, wodurch wir in der Einbildungskraft einen      
  08 Triangel construiren, mit derjenigen gänzlich einerlei ist, welche wir in      
  09 der Apprehension einer Erscheinung ausüben, um uns davon einen Erfahrungsbegriff      
  10 zu machen: das ist es allein, was mit diesem Begriffe die      
  11 Vorstellung von der Möglichkeit eines solchen Dinges verknüpft. Und so      
  12 ist die Möglichkeit continuirlicher Größen, ja sogar der Größen überhaupt,      
  13 weil die Begriffe davon insgesammt synthetisch sind, niemals aus      
  14 den Begriffen selbst, sondern aus ihnen als formalen Bedingungen der      
  15 Bestimmung der Gegenstände in der Erfahrung überhaupt allererst klar;      
  16 und wo sollte man auch Gegenstände suchen wollen, die den Begriffen correspondirten,      
  17 wäre es nicht in der Erfahrung, durch die uns allein Gegenstände      
  18 gegeben werden? Wiewohl wir, ohne eben Erfahrung selbst voranzuschicken,      
  19 bloß in Beziehung auf die formalen Bedingungen, unter welchen      
  20 in ihr überhaupt etwas als Gegenstand bestimmt wird, mithin völlig      
  21 a priori, aber doch nur in Beziehung auf sie und innerhalb ihren Grenzen      
  22 die Möglichkeit der Dinge erkennen und charakterisiren können.      
           
  23 Das Postulat, die Wirklichkeit der Dinge zu erkennen, fordert      
  24 Wahrnehmung, mithin Empfindung, deren man sich bewußt ist; zwar      
  25 nicht eben unmittelbar von dem Gegenstande selbst, dessen Dasein erkannt      
  26 werden soll, aber doch Zusammenhang desselben mit irgend einer wirklichen      
  27 Wahrnehmung nach den Analogien der Erfahrung, welche alle reale      
  28 Verknüpfung in einer Erfahrung überhaupt darlegen.      
           
  29 In dem bloßen Begriffe eines Dinges kann gar kein Charakter      
  30 seines Daseins angetroffen werden. Denn ob derselbe gleich noch so vollständig      
  31 sei, daß nicht das mindeste ermangele, um ein Ding mit allen      
  32 seinen innern Bestimmungen zu denken, so hat das Dasein mit allem      
  33 diesem doch gar nichts zu thun, sondern nur mit der Frage: ob ein solches      
  34 Ding uns gegeben sei, so daß die Wahrnehmung desselben vor dem Begriffe      
  35 allenfalls vorhergehen könne. Denn daß der Begriff vor der Wahrnehmung      
  36 vorhergeht, bedeutet dessen bloße Möglichkeit; die Wahrnehmung      
  37 aber, die den Stoff zum Begriff hergiebt, ist der einzige Charakter der      
           
     

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