Kant: AA III, Kritik der reinen Vernunft ... , Seite 179 |
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| 01 | gehören als solche mit zu der ganzen Veränderung. Nun hat jede Veränderung | ||||||
| 02 | eine Ursache, welche in der ganzen Zeit, in welcher jene vorgeht, | ||||||
| 03 | ihre Causalität beweiset. Also bringt diese Ursache ihre Veränderung nicht | ||||||
| 04 | plötzlich (auf einmal oder in einem Augenblicke) hervor, sondern in einer | ||||||
| 05 | Zeit, so daß, wie die Zeit vom Anfangsaugenblicke a bis zu ihrer Vollendung | ||||||
| 06 | in b wächst, auch die Größe der Realität (b'a) durch alle kleinere | ||||||
| 07 | Grade, die zwischen dem ersten und letzten enthalten sind, erzeugt | ||||||
| 08 | wird. Alle Veränderung ist also nur durch eine continuirliche Handlung | ||||||
| 09 | der Causalität möglich, welche, so fern sie gleichförmig ist, ein Moment | ||||||
| 10 | heißt. Aus diesen Momenten besteht nicht die Veränderung, sondern wird | ||||||
| 11 | dadurch erzeugt als ihre Wirkung. | ||||||
| 12 | Das ist nun das Gesetz der Continuität aller Veränderung, dessen | ||||||
| 13 | Grund dieser ist: daß weder die Zeit, noch auch die Erscheinung in der | ||||||
| 14 | Zeit aus Theilen besteht, die die kleinsten sind, und daß doch der Zustand | ||||||
| 15 | des Dinges bei seiner Veränderung durch alle diese Theile als Elemente | ||||||
| 16 | zu seinem zweiten Zustande übergehe. Es ist kein Unterschied des Realen | ||||||
| 17 | in der Erscheinung, so wie kein Unterschied in der Größe der Zeiten | ||||||
| 18 | der kleinste; und so erwächst der neue Zustand der Realität von dem | ||||||
| 19 | ersten an, darin diese nicht war, durch alle unendliche Grade derselben, | ||||||
| 20 | deren Unterschiede von einander insgesammt kleiner sind, als der zwischen | ||||||
| 21 | 0 und a. | ||||||
| 22 | Welchen Nutzen dieser Satz in der Naturforschung haben möge, das | ||||||
| 23 | geht uns hier nichts an. Aber wie ein solcher Satz, der unsre Erkenntniß | ||||||
| 24 | der Natur so zu erweitern scheint, völlig a priori möglich sei, das erfordert | ||||||
| 25 | gar sehr unsere Prüfung, wenn gleich der Augenschein beweiset, daß er | ||||||
| 26 | wirklich und richtig sei, und man also der Frage, wie er möglich gewesen, | ||||||
| 27 | überhoben zu sein glauben möchte. Denn es giebt so mancherlei ungegründete | ||||||
| 28 | Anmaßungen der Erweiterung unserer Erkenntniß durch reine | ||||||
| 29 | Vernunft: daß es zum allgemeinen Grundsatz angenommen werden muß, | ||||||
| 30 | deshalb durchaus mißtrauisch zu sein und ohne Documente, die eine gründliche | ||||||
| 31 | Deduction verschaffen können, selbst auf den klärsten dogmatischen | ||||||
| 32 | Beweis nichts dergleichen zu glauben und anzunehmen. | ||||||
| 33 | Aller Zuwachs des empirischen Erkenntnisses und jeder Fortschritt | ||||||
| 34 | der Wahrnehmung ist nichts als eine Erweiterung der Bestimmung des | ||||||
| 35 | innern Sinnes, d. i. ein Fortgang in der Zeit, die Gegenstände mögen | ||||||
| 36 | sein, welche sie wollen, Erscheinungen oder reine Anschauungen, dieser | ||||||
| 37 | Fortgang in der Zeit bestimmt alles und ist an sich selbst durch nichts | ||||||
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