Kant: AA III, Kritik der reinen Vernunft ... , Seite 091

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 es auch sei, Vorstellungen gegeben werden, um diese zuerst in Begriffe      
  02 zu verwandeln, welches analytisch zugeht. Dagegen hat die transscendentale      
  03 Logik ein Mannigfaltiges der Sinnlichkeit a priori vor sich liegen,      
  04 welches die transscendentale Ästhetik ihr darbietet, um zu den reinen Verstandesbegriffen      
  05 einen Stoff zu geben, ohne den sie ohne allen Inhalt,      
  06 mithin völlig leer sein würde. Raum und Zeit enthalten nun ein Mannigfaltiges      
  07 der reinen Anschauung a priori, gehören aber gleichwohl zu den      
  08 Bedingungen der Receptivität unseres Gemüths, unter denen es allein      
  09 Vorstellungen von Gegenständen empfangen kann, die mithin auch den      
  10 Begriff derselben jederzeit afficiren müssen. Allein die Spontaneität unseres      
  11 Denkens erfordert es, daß dieses Mannigfaltige zuerst auf gewisse Weise      
  12 durchgegangen, aufgenommen und verbunden werde, um daraus eine Erkenntniß      
  13 zu machen. Diese Handlung nenne ich Synthesis.      
           
  14 Ich verstehe aber unter Synthesis in der allgemeinsten Bedeutung      
  15 die Handlung, verschiedene Vorstellungen zu einander hinzuzuthun und ihre      
  16 Mannigfaltigkeit in einer Erkenntniß zu begreifen. Eine solche Synthesis      
  17 ist rein, wenn das Mannigfaltige nicht empirisch, sondern a priori      
  18 gegeben ist (wie das im Raum und der Zeit). Vor aller Analysis unserer      
  19 Vorstellungen müssen diese zuvor gegeben sein, und es können keine Begriffe      
  20 dem Inhalte nach analytisch entspringen. Die Synthesis eines      
  21 Mannigfaltigen aber (es sei empirisch oder a priori gegeben) bringt zuerst      
  22 eine Erkenntniß hervor, die zwar anfänglich noch roh und verworren sein      
  23 kann und also der Analysis bedarf; allein die Synthesis ist doch dasjenige,      
  24 was eigentlich die Elemente zu Erkenntnissen sammlet und zu einem      
  25 gewissen Inhalte vereinigt; sie ist also das erste, worauf wir Acht zu geben      
  26 haben, wenn wir über den ersten Ursprung unserer Erkenntniß urtheilen      
  27 wollen.      
           
  28 Die Synthesis überhaupt ist, wie wir künftig sehen werden, die bloße      
  29 Wirkung der Einbildungskraft, einer blinden, obgleich unentbehrlichen      
  30 Function der Seele, ohne die wir überall gar keine Erkenntniß haben      
  31 würden, der wir uns aber selten nur einmal bewußt sind. Allein diese      
  32 Synthesis auf Begriffe zu bringen, das ist eine Function, die dem Verstande      
  33 zukommt, und wodurch er uns allererst die Erkenntniß in eigentlicher      
  34 Bedeutung verschafft.      
           
  35 Die reine Synthesis, allgemein vorgestellt, giebt nun den      
  36 reinen Verstandesbegriff. Ich verstehe aber unter dieser Synthesis diejenige,      
  37 welche auf einem Grunde der synthetischen Einheit a priori beruht:      
           
     

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