Kant: AA III, Kritik der reinen Vernunft ... , Seite 029

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 auch von keinem abgeleitet, als der selbst wiederum als ein nothwendiger      
  02 Satz gültig ist, so ist er schlechterdings a priori. Zweitens: Erfahrung      
  03 giebt niemals ihren Urtheilen wahre oder strenge, sondern nur      
  04 angenommene und comparative Allgemeinheit (durch Induction), so      
  05 daß es eigentlich heißen muß: so viel wir bisher wahrgenommen haben,      
  06 findet sich von dieser oder jener Regel keine Ausnahme. Wird also ein      
  07 Urtheil in strenger Allgemeinheit gedacht, d. i. so, daß gar keine Ausnahme      
  08 als möglich verstattet wird, so ist es nicht von der Erfahrung abgeleitet,      
  09 sondern schlechterdings a priori gültig. die empirische Allgemeinheit      
  10 ist also nur eine willkürliche Steigerung der Gültigkeit von der,      
  11 welche in den meisten Fällen, zu der, die in allen gilt, wie z. B. in dem      
  12 Satze: alle Körper sind schwer; wo dagegen Strenge Allgemeinheit zu      
  13 einem Urtheile wesentlich gehört, da zeigt diese auf einen besonderen Erkenntnißquell      
  14 desselben, nämlich ein Vermögen des Erkenntnisses a priori.      
  15 Nothwendigkeit und Strenge Allgemeinheit sind also sichere Kennzeichen      
  16 einer Erkenntniß a priori und gehören auch unzertrennlich zu einander.      
  17 Weil es aber im Gebrauche derselben bisweilen leichter ist, die empirische      
  18 Beschränktheit derselben, als die Zufälligkeit in den Urtheilen, oder es      
  19 auch mannigmal einleuchtender ist, die unbeschränkte Allgemeinheit, die      
  20 wir einem Urtheile beilegen, als die Nothwendigkeit desselben zu zeigen,      
  21 so ist es rathsam, sich gedachter beider Kriterien, deren jedes für sich unfehlbar      
  22 ist, abgesondert zu bedienen.      
           
  23 Daß es nun dergleichen nothwendige und im strengsten Sinne allgemeine,      
  24 mithin reine Urtheile a priori im menschlichen Erkenntniß wirklich      
  25 gebe, ist leicht zu zeigen. Will man ein Beispiel aus Wissenschaften, so      
  26 darf man nur auf alle Sätze der Mathematik hinaussehen; will man ein      
  27 solches aus dem gemeinsten Verstandesgebrauche, so kann der Satz, daß      
  28 alle Veränderung eine Ursache haben müsse, dazu dienen; ja in dem letzteren      
  29 enthält selbst der Begriff einer Ursache so offenbar den Begriff einer      
  30 Nothwendigkeit der Verknüpfung mit einer Wirkung und einer strengen      
  31 Allgemeinheit der Regel, daß er gänzlich verloren gehen würde, wenn      
  32 man ihn, wie Hume that, vor einer öftern Beigesellung dessen, was geschieht,      
  33 mit dem, was vorhergeht, und einer daraus entspringenden Gewohnheit      
  34 (mithin bloß subjectiven Nothwendigkeit), Vorstellungen zu verknüpfen,      
  35 ableiten wollte. Auch könnte man, ohne dergleichen Beispiele      
  36 zum Beweise der Wirklichkeit reiner Grundsätze a priori in unserem Erkenntnisse      
  37 zu bedürfen, dieser ihre Unentbehrlichkeit zur Möglichkeit der      
           
     

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