Kant: AA III, Kritik der reinen Vernunft ... , Seite 022

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 und nach der strengsten Forderung systematisch, mithin schulgerecht (nicht      
  02 populär) ausgeführt werden muß, denn diese Forderung an sie, da sie sich      
  03 anheischig macht, gänzlich a priori, mithin zu völliger Befriedigung der      
  04 speculativen Vernunft ihr Geschäfte auszuführen, ist unnachlaßlich. In      
  05 der Ausführung also des Plans, den die Kritik vorschreibt, d. i. im künftigen      
  06 System der Metaphysik, müssen wir dereinst der strengen Methode      
  07 des berühmten Wolff, des größten unter allen dogmatischen Philosophen,      
  08 folgen, der zuerst das Beispiel gab (und durch dies Beispiel der Urheber      
  09 des bisher noch nicht erloschenen Geistes der Gründlichkeit in Deutschland      
  10 wurde), wie durch gesetzmäßige Feststellung der Principien, deutliche Bestimmung      
  11 der Begriffe, versuchte Strenge der Beweise, Verhütung kühner      
  12 Sprünge in Folgerungen der sichere Gang einer Wissenschaft zu nehmen      
  13 sei, der auch eben darum eine solche, als Metaphysik ist, in diesen Stand      
  14 zu versetzen vorzüglich geschickt war, wenn es ihm beigefallen wäre, durch      
  15 Kritik des Organs, nämlich der reinen Vernunft selbst, sich das Feld vorher      
  16 zu bereiten: ein Mangel, der nicht sowohl ihm, als vielmehr der dogmatischen      
  17 Denkungsart seines Zeitalters beizumessen ist, und darüber die      
  18 Philosophen seiner sowohl als aller vorigen Zeiten einander nichts vorzuwerfen      
  19 haben. Diejenigen, welche seine Lehrart und doch zugleich auch      
  20 das Verfahren der Kritik der reinen Vernunft verwerfen, können nichts      
  21 andres im Sinne haben, als die Fesseln der Wissenschaft gar abzuwerfen,      
  22 Arbeit in Spiel, Gewißheit in Meinung und Philosophie in Philodoxie      
  23 zu verwandeln.      
           
  24 Was diese zweite Auflage betrifft, so habe ich wie billig die      
  25 Gelegenheit derselben nicht vorbeilassen wollen, um den Schwierigkeiten      
  26 und der Dunkelheit so viel möglich abzuhelfen, woraus manche Mißdeutungen      
  27 entsprungen sein mögen, welche scharfsinnigen Männern vielleicht      
  28 nicht ohne meine Schuld in der Beurtheilung dieses Buchs aufgestoßen      
  29 sind. In den Sätzen selbst und ihren Beweisgründen, imgleichen der Form      
  30 sowohl als der Vollständigkeit des Plans habe ich nichts zu ändern gefunden;      
  31 welches theils der langen Prüfung, der ich sie unterworfen hatte,      
  32 ehe ich es dem Publicum vorlegte, theils der Beschaffenheit der Sache      
  33 selbst, nämlich der Natur einer reinen speculativen Vernunft, beizumessen      
  34 ist, die einen wahren Gliederbau enthält, worin alles Organ ist, nämlich      
  35 Alles um Eines Willen und ein jedes Einzelne um aller willen, mithin      
  36 jede noch so kleine Gebrechlichkeit, sie sei ein Fehler (Irrthum) oder Mangel,      
  37 sich im Gebrauche unausbleiblich verrathen muß. In dieser Unveränderlichkeit      
           
     

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