Kant: AA III, Kritik der reinen Vernunft ... , Seite 020

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 ob der Beweis von der Fortdauer unserer Seele nach dem Tode      
  02 aus der Einfachheit der Substanz, ob der von der Freiheit des Willens      
  03 gegen den allgemeinen Mechanism durch die subtilen, obzwar ohnmächtigen,      
  04 Unterscheidungen subjectiver und objectiver praktischer Nothwendigkeit,      
  05 oder ob der vom Dasein Gottes aus dem Begriffe eines allerrealsten      
  06 Wesens (der Zufälligkeit des Veränderlichen und der Nothwendigkeit eines      
  07 ersten Bewegers), nachdem sie von den Schulen ausgingen, jemals haben      
  08 bis zum Publicum gelangen und auf dessen Überzeugung den mindesten      
  09 Einfluß haben können? Ist dieses nun nicht geschehen, und kann es auch      
  10 wegen der Untauglichkeit des gemeinen Menschenverstandes zu so subtiler      
  11 Speculation niemals erwartet werden; hat vielmehr, was das erstere betrifft,      
  12 die jedem Menschen bemerkliche Anlage seiner Natur, durch das      
  13 Zeitliche (als zu den Anlagen seiner ganzen Bestimmung unzulänglich)      
  14 nie zufrieden gestellt werden zu können, die Hoffnung eines künftigen      
  15 Lebens, in Ansehung des zweiten die bloße klare Darstellung der Pflichten      
  16 im Gegensatze aller Ansprüche der Neigungen das Bewußtsein der      
  17 Freiheit und endlich, was das dritte anlangt, die herrliche Ordnung,      
  18 Schönheit und Vorsorge, die allerwärts in der Natur hervorblickt, allein      
  19 den Glauben an einen weisen und großen Welturheber, die sich aufs      
  20 Publicum verbreitende Überzeugung, so fern sie auf Vernunftgründen beruht,      
  21 ganz allein bewirken müssen: so bleibt ja nicht allein dieser Besitz      
  22 ungestört, sondern er gewinnt vielmehr dadurch noch an Ansehn, daß die      
  23 Schulen nunmehr belehrt werden, sich keine höhere und ausgebreitetere      
  24 Einsicht in einem Punkte anzumaßen, der die allgemeine menschliche Angelegenheit      
  25 betrifft, als diejenige ist, zu der die große (für uns achtungswürdigste)      
  26 Menge auch eben so leicht gelangen kann, und sich also auf die      
  27 Cultur dieser allgemein faßlichen und in moralischer Absicht hinreichenden      
  28 Beweisgründe allein einzuschränken. Die Veränderung betrifft also bloß      
  29 die arroganten Ansprüche der Schulen, die sich gerne hierin (wie sonst mit      
  30 Recht in vielen anderen Stücken) für die alleinigen Kenner und Aufbewahrer      
  31 solcher Wahrheiten möchten halten lassen, von denen sie dem      
  32 Publicum nur den Gebrauch mittheilen, den Schlüssel derselben aber für      
  33 sich behalten ( quod mecum nescit, solus vult scire videri ). Gleichwohl      
  34 ist doch auch für einen billigern Anspruch des speculativen Philosophen      
  35 gesorgt. Er bleibt immer ausschließlich depositär einer dem Publicum      
  36 ohne dessen wissen nützlichen Wissenschaft, nämlich der Kritik der Vernunft;      
  37 denn die kann niemals populär werden, hat aber auch nicht nöthig      
           
     

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