Kant: AA II, Träume eines Geistersehers, ... , Seite 361

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 Bändigung eines leeren Vorwitzes könnte verhütet werden, da hingegen      
  02 jene das erste Fundament aller Urtheile betrifft, dawider, wenn es unrichtig      
  03 ist, die Regeln der Logik wenig vermögen! Ich sondere also bei unserm      
  04 Verfasser den Wahnsinn vom Wahnwitze ab und übergehe dasjenige,      
  05 was er auf eine verkehrte Weise klügelt, indem er nicht bei seinen Visionen      
  06 stehen bleibt, eben so wie man sonst vielfältig bei einem Philosophen      
  07 dasjenige, was er beobachtet, von dem absondern muß, was er vernünftelt,      
  08 und sogar Scheinerfahrungen mehrentheils lehrreicher      
  09 sind, als die Scheingründe aus der Vernunft. Indem ich also dem      
  10 Leser einige von den Augenblicken raube, die er sonst vielleicht mit nicht      
  11 viel größerem Nutzen auf die Lesung gründlicher Schriften von eben      
  12 der Materie würde verwandt haben, so sorge ich zugleich für die Zärtlichkeit      
  13 seines Geschmacks, da ich mit Weglassung vieler wilden Chimären die      
  14 Quintessenz des Buchs auf wenig Tropfen bringe, wofür ich mir von ihm      
  15 eben so viel Dank verspreche, als ein gewisser Patient glaubte den Ärzten      
  16 schuldig zu sein, daß sie ihn nur die Rinde von der Quinquina verzehren      
  17 ließen, da sie ihn leichtlich hätten nöthigen können den ganzen Baum aufzuessen.      
           
  19 Herr Schwedenberg theilt seine Erscheinungen in drei Arten ein, davon      
  20 die erste ist, vom Körper befreiet zu werden: ein mittlerer Zustand      
  21 zwischen Schlafen und Wachen, worin er Geister gesehen, gehört, ja gefühlt      
  22 hat. Dergleichen ist ihm nur drei= oder viermal begegnet. Die      
  23 zweite ist, vom Geiste weggeführt zu werden, da er etwa auf der Straße      
  24 geht, ohne sich zu verwirren, indessen daß er im Geiste in ganz anderen      
  25 Gegenden ist und anderwärts Häuser, Menschen, Wälder u.d.g. deutlich      
  26 sieht, und dieses wohl einige Stunden lang, bis er sich plötzlich wiederum      
  27 an seinem rechten Orte gewahr wird. Dieses ist ihm zwei= bis dreimal      
  28 zugestoßen. Die dritte Art der Erscheinungen ist die gewöhnliche, welche      
  29 er täglich im völligen Wachen hat, und davon auch hauptsächlich diese      
  30 seine Erzählungen hergenommen sind.      
           
  31 Alle Menschen stehen seiner Aussage nach in gleich inniglicher Verbindung      
  32 mit der Geisterwelt; nur sie empfinden es nicht, und der Unterschied      
  33 zwischen ihm und den andern besteht nur darin, daß sein Innerstes      
  34 aufgethan ist, von welchem Geschenke er jederzeit mit Ehrerbietigkeit      
  35 redet ( datum mihi est ex divina Domini misericordia ). Man sieht      
  36 aus dem Zusammenhange, daß diese Gabe darin bestehen soll, sich der      
  37 dunkelen Vorstellungen bewußt zu werden, welche die Seele durch ihre      
           
     

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