Kant: AA II, Träume eines Geistersehers, ... , Seite 338

     
           
 

Zeile:

 

Text (Kant):

 

 

 

 
  01 ich als Geist denke, von mir als Mensch nicht erinnert wird, und umgekehrt      
  02 mein Zustand als eines Menschen in die Vorstellung meiner selbst      
  03 als eines Geistes gar nicht hinein kommt. Übrigens mögen die Vorstellungen      
  04 von der Geisterwelt so klar und anschauend sein, wie man      
  05 will,*) so ist dieses doch nicht hinlänglich, um mich deren als Mensch bewußt      
  06 zu werden; wie denn sogar die Vorstellung seiner selbst (d. i. der      
  07 Seele) als eines Geistes wohl durch Schlüsse erworben wird, bei keinem      
  08 Menschen aber ein anschauender und Erfahrungsbegriff ist.      
           
  09 Diese Ungleichartigkeit der geistigen Vorstellungen und derer, die      
  10 zum leiblichen Leben des Menschen gehören, darf indessen nicht als eine      
  11 so große Hinderniß angesehen werden, daß sie alle Möglichkeit aufhebe,      
  12 sich bisweilen der Einflüsse von Seiten der Geisterwelt sogar in diesem      
  13 Leben bewußt zu werden. Denn sie können in das persönliche Bewußtsein      
  14 des Menschen zwar nicht unmittelbar, aber doch so übergehen, daß sie      
  15 nach dem Gesetz der vergesellschafteten Begriffe diejenige Bilder rege      
           
    *) Man kann dieses durch eine gewisse Art von zwiefacher Persönlichkeit, die der Seele selbst in Ansehung dieses Lebens zukommt, erläutern. Gewisse Philosophen glauben, sich ohne den mindesten besorglichen Einspruch auf den Zustand des festen Schlafes berufen zu können, wenn sie die Wirklichkeit dunkeler Vorstellungen beweisen wollen, da sich doch nichts weiter hievon mit Sicherheit sagen läßt, als daß wir uns im Wachen keiner von denjenigen erinnern, die wir im festen Schlafe etwa mochten gehabt haben, und daraus nur so viel folgt, daß sie beim Erwachen nicht klar vorgestellt worden, nicht aber, daß sie auch damals, als wir schliefen, dunkel waren. Ich vermuthe vielmehr, daß dieselbe klärer und ausgebreiteter sein mögen, als selbst die klärsten im Wachen: weil dieses bei der völligen Ruhe äußerer Sinne von einem so thätigen Wesen, als die Seele ist, zu erwarten ist, wiewohl, da der Körper des Menschen zu der Zeit nicht mit empfunden ist, beim Erwachen die begleitende Idee desselben ermangelt, welche den vorigen Zustand der Gedanken als zu eben derselben Person gehörig zum Bewußtsein verhelfen könnte. Die Handlungen einiger Schlafwanderer, welche bisweilen in solchem Zustande mehr Verstand als sonst zeigen, ob sie gleich nichts davon beim Erwachen erinnern, bestätigen die Möglichkeit dessen, was ich vom festen Schlafe vermuthe. Die Träume dagegen, das ist, die Vorstellungen des Schlafenden, deren er sich beim Erwachen erinnert, gehören nicht hieher. Denn alsdann schläft der Mensch nicht völlig; er empfindet in einem gewissen Grade klar und webt seine Geisteshandlungen in die Eindrücke der äußeren Sinne. Daher er sich ihrer zum Theil nachher erinnert, aber auch an ihnen lauter wilde und abgeschmackte Chimären antrifft, wie sie es denn nothwendig sein müssen, da in ihnen Ideen der Phantasie und die der äußeren Empfindung untereinander geworfen werden.      
           
     

[ Seite 337 ] [ Seite 339 ] [ Inhaltsverzeichnis ]