Kant: AA II, Beobachtungen über das ... , Seite 256

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 Krieger, durch feierliche Gelübde zur Gewaltthätigkeit und Missethaten      
  02 geheiligt, in der Folge eine seltsame Art von heroischen Phantasten,      
  03 welche sich Ritter nannten und Abenteuer aufsuchten, Turniere, Zweikämpfe      
  04 und romanische Handlungen. Während dieser Zeit ward die Religion      
  05 zusammt den Wissenschaften und Sitten durch elende Fratzen entstellt,      
  06 und man bemerkt, daß der Geschmack nicht leichtlich auf einer Seite      
  07 ausartet, ohne auch in allem übrigen, was zum feineren Gefühl gehört,      
  08 deutliche Zeichen seiner Verderbniß darzulegen. Die Klostergelübde machten      
  09 aus einem großen Theil nutzbarer Menschen zahlreiche Gesellschaften      
  10 emsiger Müßiggänger, deren grüblerische Lebensart sie geschickt machte,      
  11 tausend Schulfratzen auszuhecken, welche von da in größere Welt ausgingen      
  12 und ihre Art verbreiteten. Endlich nachdem das menschliche Genie      
  13 von einer fast gänzlichen Zerstörung sich durch eine Art von Palingenesie      
  14 glücklich wiederum erhoben hat, so sehen wir in unsern Tagen den richtigen      
  15 Geschmack des Schönen und Edlen sowohl in den Künsten und Wissenschaften      
  16 als in Ansehung des Sittlichen aufblühen, und es ist nichts mehr      
  17 zu wünschen, als daß der falsche Schimmer, der so leichtlich täuscht, uns      
  18 nicht unvermerkt von der edlen Einfalt entferne, vornehmlich aber, daß      
  19 das noch unentdeckte Geheimniß der Erziehung dem alten Wahne entrissen      
  20 werde, um das sittliche Gefühl frühzeitig in dem Busen eines jeden      
  21 jungen Weltbürgers zu einer thätigen Empfindung zu erhöhen, damit      
  22 nicht alle Feinigkeit blos auf das flüchtige und müßige Vergnügen hinauslaufe,      
  23 dasjenige, was außer uns vorgeht, mit mehr oder weniger Geschmacke      
  24 zu beurtheilen.      
           
           
     

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