Kant: AA II, Beobachtungen über das ... , Seite 252

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 frevelhaften Spötterei nur ein Schritt ist und der im Grunde, wenn auf      
  02 den inneren Werth gesehen wird, von einer gänzlichen Absagung wenig      
  03 voraus hat.      
           
  04 Gehen wir mit einem flüchtigen Blicke noch die andere Welttheile      
  05 durch, so treffen wir den Araber als den edelsten Menschen im Oriente      
  06 an, doch von einem Gefühl, welches sehr in das Abenteuerliche ausartet.      
  07 Er ist gastfrei, großmüthig und wahrhaft; allein seine Erzählung und Geschichte      
  08 und überhaupt seine Empfindung ist jederzeit mit etwas Wunderbarem      
  09 durchflochten. Seine erhitzte Einbildungskraft stellt ihm die Sachen      
  10 in unnatürlichen und verzogenen Bildern dar, und selbst die Ausbreitung      
  11 seiner Religion war ein großes Abenteuer. Wenn die Araber gleichsam      
  12 die Spanier des Orients sind, so sind die Perser die Franzosen von Asien.      
  13 Sie sind gute Dichter, höflich und von ziemlich feinem Geschmacke. Sie      
  14 sind nicht so strenge Befolger des Islam und erlauben ihrer zur Lustigkeit      
  15 aufgelegten Gemüthsart eine ziemlich milde Auslegung des Koran. Die      
  16 Japoneser könnten gleichsam als die Engländer dieses Welttheils angesehen      
  17 werden, aber kaum in einer andern Eigenschaft, als ihrer Standhaftigkeit,      
  18 die bis zur äußersten Halsstarrigkeit ausartet, ihrer Tapferkeit und      
  19 Verachtung des Todes. Übrigens zeigen sie wenig Merkmale eines feineren      
  20 Gefühls an sich. Die Indianer haben einen herrschenden Geschmack von      
  21 Fratzen von derjenigen Art, die ins Abenteuerliche einschlägt. Ihre Religion      
  22 besteht aus Fratzen. Götzenbilder von ungeheurer Gestalt, der unschätzbare      
  23 Zahn des mächtigen Affen Hanuman, die unnatürliche Büßungen      
  24 der Fakirs (heidnischer Bettelmönche) etc. sind in diesem Geschmacke.      
  25 Die willkürliche Aufopferung der Weiber in eben demselben Scheiterhaufen,      
  26 der die Leiche ihres Mannes verzehrt, ist ein scheusliches Abenteuer. Welche      
  27 läppische Fratzen enthalten nicht die weitschichtige und ausstudirte Complimente      
  28 der Chineser; selbst ihre Gemälde sind fratzenhaft und stellen      
  29 wunderliche und unnatürliche Gestalten vor, dergleichen nirgend in der      
  30 Welt anzutreffen sind. Sie haben auch ehrwürdige Fratzen, darum weil      
  31 sie von uraltem Gebrauch sind,*) und keine Völkerschaft in der Welt hat      
  32 deren mehr als diese.      
           
           
    *) Man begeht noch in Peking die Ceremonie, bei einer Sonnen= oder Mondfinsterni durch großes Geräusch den Drachen zu verjagen, der diese Himmelskörper verschlingen will, und behält einen elenden Gebrauch aus den ältesten Zeiten der Unwissenheit bei, ob man gleich jetzt besser belehrt ist.      
           
     

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