Kant: AA II, Versuch den Begriff der ... , Seite 191

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 bringt. Denn sonst, wenn sie eine Verneinung und Mangel schlechthin      
  02 wäre, so würde dazu eben so wenig Anstrengung einer Kraft erfordert      
  03 werden, als dazu, daß ich etwas nicht weiß, weil niemals ein Grund dazu      
  04 war, Kraft nöthig ist.      
           
  05 Eben dieselbe Nothwendigkeit eines positiven Grundes zu Aufhebung      
  06 eines inneren Accidens der Seele zeigt sich in der Überwindung der Begierden,      
  07 wobei man sich der oben angeführten Beispiele bedienen kann.      
  08 Überhaupt aber, auch außer den Fällen, da man sich dieser entgegengesetzten      
  09 Thätigkeit sogar bewußt ist und die wir angeführt haben, hat man      
  10 keinen genugsamen Grund sie alsdann in Abrede zu ziehen, wenn wir sie      
  11 nicht in uns klar bemerken. Ich gedenke z. E. anjetzt an den Tiger. Dieser      
  12 Gedanke verliert sich, und es fällt mir dagegen der Schakal ein. Man kann      
  13 freilich bei dem Wechsel der Vorstellungen eben keine besondere Bestrebung      
  14 der Seele in sich wahrnehmen, die da wirkte, um eine von den gedachten      
  15 Vorstellungen aufzuheben. Allein welche bewunderungswürdige Geschäftigkeit      
  16 ist nicht in den Tiefen unsres Geistes verborgen, die wir      
  17 mitten in der Ausübung nicht bemerken, darum weil der Handlungen sehr      
  18 viel sind, jede einzelne aber nur sehr dunkel vorgestellt wird. Die Beweisthümer      
  19 davon sind jedermann bekannt; man mag unter diesen nur      
  20 die Handlungen in Erwägung ziehen, die unbemerkt in uns vorgehen,      
  21 wenn wir lesen, so muß man darüber erstaunen. Man kann unter andern      
  22 hierüber die Logik des Reimarus nachsehen, welcher hierüber Betrachtung      
  23 anstellt. Und so ist zu urtheilen, daß das Spiel der Vorstellungen und      
  24 überhaupt aller Thätigkeiten unserer Seele, in so fern ihre Folgen, nachdem      
  25 sie wirklich waren, wieder aufhören, entgegengesetzte Handlungen voraussetzen,      
  26 davon eine die Negative der andern ist, zu Folge den gewissen      
  27 Gründen, die wir angeführt haben, ob uns gleich nicht immer die innere      
  28 Erfahrung davon belehren kann.      
           
  29 Wenn man die Gründe in Erwägung zieht, auf welchen die hier angeführte      
  30 Regel beruht, so wird man alsbald inne: daß, was die Aufhebung      
  31 eines existirenden Etwas anlangt, unter den Accidenzien der      
  32 geistigen Naturen desfalls kein Unterschied sein könne von den Folgen      
  33 wirksamer Kräfte in der körperlichen Welt, nämlich, daß sie niemals anders      
  34 aufgehoben werden als durch eine wahre entgegengesetzte Bewegkraft      
  35 eines andern, und ein inneres Accidens, ein Gedanke der Seele, kann      
  36 nicht aufhören zu sein, ohne eine wahrhaftig thätige Kraft eben desselben      
  37 denkenden Subjects. Der Unterschied betrifft hier nur die verschiedene      
           
     

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