Kant: AA II, Der einzig mögliche ... , Seite 153

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 die Analogie dessen, was Menschen ausüben, einigen Begriff davon machen,      
  02 wie ein Wesen die Ursache von etwas Wirklichem sein könne, nimmermehr      
  03 aber, wie es den Grund der innern Möglichkeit von andern Dingen enthalte,      
  04 und es scheint, als wenn dieser Gedanke viel zu hoch steigt, als daß      
  05 ihn ein erschaffenes Wesen erreichen könnte.      
           
  06 Dieser hohe Begriff der göttlichen Natur, wenn wir sie nach ihrer      
  07 Allgenugsamkeit gedenken, kann selbst in dem Urtheil über die Beschaffenheit      
  08 möglicher Dinge, wo uns unmittelbar Gründe der Entscheidung      
  09 fehlen, zu einem Hülfsmittel dienen, aus ihr als einem Grunde auf fremde      
  10 Möglichkeit als eine Folge zu schließen. Es ist die Frage: ob nicht unter      
  11 allen möglichen Welten eine Steigerung ohne Ende in den Graden der      
  12 Vollkommenheit anzutreffen sei, da gar keine natürliche Ordnung möglich      
  13 ist, über die nicht noch eine vortrefflichere könne gedacht werden; ferner,      
  14 wenn ich auch hierin eine höchste Stufe zugäbe, ob nicht wenigstens selbst      
  15 verschiedene Welten, die von keiner übertroffen werden, einander an Vollkommenheit      
  16 gänzlich gleich wären. Bei dergleichen Fragen ist es schwer      
  17 und vielleicht unmöglich aus der Betrachtung möglicher Dinge allein etwas      
  18 zu entscheiden. Allein wenn ich beide Aufgaben in Verknüpfung mit      
  19 dem göttlichen Wesen erwäge und erkenne, daß der Vorzug der Wahl, der      
  20 einer Welt vor der andern zu Theil wird, ohne den Vorzug in dem Urtheile      
  21 eben desselben Wesens, welches wählt, oder gar wider dieses Urtheil      
  22 einen Mangel in der Übereinstimmung seiner verschiedenen thätigen Kräfte      
  23 und eine verschiedene Beziehung seiner Wirksamkeit ohne eine proportionirte      
  24 Verschiedenheit in den Gründen, mithin einen Übelstand in dem      
  25 vollkommensten Wesen abnehmen lasse, so schließe ich mit großer Überzeugung:      
  26 daß die vorgelegten Fälle erdichtet und unmöglich sein müssen.      
  27 Denn ich begreife nach den gesammten Vorbereitungen, die man gesehen      
  28 hat: daß man viel weniger Grund habe, aus vorausgesetzten Möglichkeiten,      
  29 die man gleichwohl nicht genug bewähren kann, auf ein nothwendiges      
  30 Betragen des vollkommensten Wesens zu schließen (welches so beschaffen      
  31 ist, daß es den Begriff der größten Harmonie in ihm zu schmälern      
  32 scheint), als aus der erkannten Harmonie, die die Möglichkeiten der Dinge      
  33 mit der göttlichen Natur haben müssen, von demjenigen, was diesem Wesen      
  34 am anständigsten zu sein erkannt wird, auf die Möglichkeit zu schließen.      
  35 Ich werde also vermuthen, daß in den Möglichkeiten aller Welten keine      
  36 solche Verhältnisse sein können, die einen Grund der Verlegenheit in der      
  37 vernünftigen Wahl des höchsten Wesens enthalten müßten; denn eben      
           
     

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