Kant: AA II, Der einzig mögliche ... , Seite 119

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 vermittelst einer weisen Wahl wäre vereinigt worden, wie etwa bei einer      
  02 Spinne die verschiedene Augen, womit sie ihrem Raube auflauert, mit      
  03 den Warzen, woraus die Spinnenseide als durch Ziehlöcher gezogen wird,      
  04 mit den feinen Klauen oder auch den Ballen ihrer Füße, dadurch sie sie      
  05 zusammenklebt oder sich daran erhält, in einem Thiere verknüpft sind. In      
  06 diesem letzteren Fall ist die Einheit bei allen verbundenen Nutzbarkeiten      
  07 (als in welcher die Vollkommenheit besteht) offenbar zufällig und einer      
  08 weisen Willkür beizumessen, da sie im Gegentheil im ersteren Fall nothwendig      
  09 ist und, wenn nur eine Tauglichkeit von den erwähnten der Luft      
  10 beigemessen wird, die andere unmöglich davon zu trennen ist. Eben dadurch,      
  11 daß man keine andere Art die Vollkommenheit der Natur zu beurtheilen      
  12 einräumt, als durch die Anstalt der Weisheit, so wird eine jede      
  13 ausgebreitete Einheit, in so fern sie offenbar als nothwendig erkannt wird,      
  14 einen gefährlichen Einwurf ausmachen. Wir werden bald sehen, daß      
  15 nach unserer Methode aus einer solchen Einheit gleichwohl auch auf die      
  16 göttliche Weisheit geschlossen wird, aber nicht so, daß sie von der weisen      
  17 Wahl als ihrer Ursache, sondern von einem solchen Grunde in einem      
  18 obersten Wesen hergeleitet wird, welcher zugleich ein Grund einer großen      
  19 Weisheit in ihm sein muß, mithin wohl von einem weisen Wesen, aber      
  20 nicht durch seine Weisheit.      
           
  21 2. Diese Methode ist nicht genugsam philosophisch und hat auch      
  22 öfters die Ausbreitung der philosophischen Erkenntniß sehr gehindert.      
  23 So bald eine Naturanstalt nützlich ist, so wird sie gemeiniglich unmittelbar      
  24 aus der Absicht des göttlichen Willens, oder doch durch eine besonders      
  25 durch Kunst veranstaltete Ordnung der Natur erklärt; entweder weil man      
  26 einmal sich in den Kopf gesetzt hat, die Wirkungen der Natur gemäß ihren      
  27 allgemeinsten Gesetzen könnten auf solche Wohlgereimtheit nicht auslaufen,      
  28 oder wenn man einräumte, sie hätten auch solche Folgen, so würde dieses      
  29 heißen die Vollkommenheit der Welt einem blinden Ungefähr zutrauen,      
  30 wodurch der göttliche Urheber sehr würde verkannt werden. Daher werden      
  31 in einem solchen Falle der Naturforschung Grenzen gesetzt. Die erniedrigte      
  32 Vernunft steht gerne von einer weiteren Untersuchung ab, weil sie solche      
  33 hier als Vorwitz ansieht, und das Vorurtheil ist desto gefährlicher, weil      
  34 es den Faulen einen Vorzug vor dem unermüdeten Forscher giebt durch      
  35 den Vorwand der Andacht und der billigen Unterwerfung unter den      
  36 großen Urheber, in dessen Erkenntniß sich alle Weisheit vereinbaren muß.      
  37 Man erzählt z. E. die Nutzen der Gebirge, deren es unzählige giebt, und      
           
     

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