Kant: AA II, M. Immanuel Kants Neuer ... , Seite 021

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 selbst im Augenblicke des Stoßes noch immer im Gleichgewichte sein, so      
  02 würde sie dieser mit nichts Widerstand leisten. Und gesetzt auch daß      
           
  03 2) diese plötzlich entstandene Bestrebung möglich wäre, so würde der      
  04 leidende Körper selbst von dem Stoße keine Bewegung bekommen; denn      
  05 der Stoß und die Gegenwirkung würden sich einander aufheben, und es      
  06 würde daraus nichts mehr folgen, als daß beide Körper aufhörten in einander      
  07 zu wirken, nicht aber, daß der gestoßene sich nach diesem bewegen      
  08 sollte. Und außer diesem, weil die Trägheitskraft eine natürliche Kraft      
  09 ist, so müßte sie, wenn gleich das Gleichgewicht durch den Stoß aufgehoben      
  10 worden, sich doch den Augenblick drauf von selber wieder herstellen, d. i.      
  11 der gestoßene Körper müßte alsbald nach dem Stoße wieder ruhig sein.      
           
  12 Ich enthalte mich noch weit mehrerer Gründe, die ich wider den Begriff      
  13 der Trägheitskraft in Bereitschaft habe anzuführen. Ich würde eben      
  14 so wohl die metaphysische Beweise beleuchten können, die man davon vor      
  15 sich findet. Allein ich habe hier nicht ein Buch, sondern einen Bogen zu      
  16 schreiben, in dessen kleinen Inbegriff sich diese fruchtbare Materie muß beschränken      
  17 lassen.      
           
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Von dem Gesetze der Continuität, in so fern es von dem
     
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Begriffe der Trägheitskraft unzertrennlich ist.
     
           
  20 Was die Vertheidiger des gemeinen Begriffes von der Bewegung am      
  21 meisten in Verlegenheit setzen muß, ist dieses, daß sie nicht umhin können,      
  22 sich ein anderes, willkürliches Gesetz wider ihren Willen aufdringen zu      
  23 lassen, wenn sie die Bewegungsgesetze nach ihrem Lehrbegriffe erklären      
  24 wollen. Diese hülfleistende Hypothese ist das Gesetz der Continuität, wovon      
  25 vielleicht die wenigsten Mechaniker bemerkt haben mögen, daß, so sehr      
  26 sie auch selbigem entgegen sein wollen, sie es doch heimlich annehmen      
  27 müssen, wenn sie den Stoß der Körper aus den angenommenen Begriffen      
  28 der Bewegung erklären wollen. Ich verstehe aber hierunter nur das physische      
  29 Gesetz der Continuität, welches sich niemals beweisen, aber wohl      
  30 widerlegen läßt; denn was das im logischen Sinne*) anlangt, so ist es      
           
    *) Ich will, ohne die Formel dieser Regel hier hinzusetzen, nur einige Beispiele davon anführen. Was da überhaupt gilt, wenn ein Körper auf einen andern bewegten anstößt, das gilt auch, wenn er einen ruhenden trifft, denn die Ruhe ist als eine unendlich kleine Bewegung anzusehen. Wenn ein Kräftenmaß von der wirklichen Bewegung überhaupt gilt, so muß es auch vom bloßen Drucke gelten; [Seitenumbruch] denn der Druck kann als eine wirkliche Bewegung durch einen unendlich kleinen Raum angesehen werden. Ich behalte mir vor, diese logische Regel der Continuität ein andermal ausführlich zu erläutern und in ihr gehöriges Licht zu setzen.      
           
     

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