Kant: AA II, M. Immanuel Kants Neuer ... , Seite 017

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 Tau, womit es befestigt war, aufgeknüpft sei, und das Schiff langsam      
  02 den Strom hinabtreibe; ich sage alsbald: die Kugel bewegt sich und zwar      
  03 von Morgen gegen Abend nach der Richtung des Flusses. Jemand sagt      
  04 mir aber, die Erde drehe sich in der täglichen Bewegung mit viel größerer      
  05 Geschwindigkeit von Abend gegen Morgen; alsbald werde ich anderes      
  06 Sinnes und lege der Kugel eine ganz entgegen gesetzte Bewegung bei, mit      
  07 einer Geschwindigkeit, die aus der Sternenwissenschaft leicht bestimmt      
  08 wird. Aber man erinnert mich, daß die ganze Kugel der Erde in Ansehung      
  09 des Planetengebäudes von Abend gegen Morgen in einer noch      
  10 schnellern Bewegung sei. Ich bin genöthigt dieselbe meiner Kugel beizulegen      
  11 und ändere die Geschwindigkeit, die ich ihr vorher gab. Zuletzt lehrt      
  12 mich Bradley, daß das ganze Planetengebäude zusammt der Sonne      
  13 wahrscheinlicher Weise eine Verrückung in Ansehung des Fixsternenhimmels      
  14 erleide. Ich frage: nach welcher Seite und mit welcher Geschwindigkeit?      
  15 Man antwortet mir nicht. Und nun werde ich schwindlicht,      
  16 ich weiß nicht mehr, ob meine Kugel ruhe oder sich bewege, wohin und      
  17 mit welcher Geschwindigkeit. Jetzt fange ich an einzusehen, daß mir in      
  18 dem Ausdrucke der Bewegung und Ruhe etwas fehlt. Ich soll ihn niemals      
  19 in absolutem Verstande brauchen, sondern immer respective. Ich soll niemals      
  20 sagen: Ein Körper ruht, ohne dazu zu setzen, in Ansehung welcher      
  21 Dinge er ruhe, und niemals sprechen, er bewege sich, ohne zugleich die      
  22 Gegenstände zu nennen, in Ansehung deren er seine Beziehung ändert.      
  23 Wenn ich mir auch gleich einen mathematischen Raum leer von allen Geschöpfen      
  24 als ein Behältniß der Körper einbilden wollte, so würde mir      
  25 dieses doch nichts helfen. Denn wodurch soll ich die Theile desselben und      
  26 die verschiednen Plätze unterscheiden, die von nichts Körperlichem eingenommen      
  27 sind?      
           
  28 Nun nehme ich zwei Körper an, deren der eine B in Ansehung aller      
  29 mir zunächst bekannten Gegenstände ruht, der andere A aber gegen ihn      
  30 mit einer bestimmten Geschwindigkeit anrückt. Die Kugel B mag nun in      
  31 einer noch so unveränderten Beziehung gegen andere äußere Gegenstände      
  32 beharren, so ist sie darin doch nicht, wenn man sie in Ansehung der bewegten      
  33 Kugel A betrachtet. Denn ihre Beziehung ist gegenseitig, die Veränderung      
  34 derselben also auch. Die Kugel B, welche in Ansehung gewisser      
  35 Objecte ruhend genannt wird, nimmt an der Veränderung der gegenseitigen      
  36 Relationen mit der Kugel A gleichen Antheil, sie kommen beide einander      
  37 näher. Warum soll ich denn trotz allem Eigensinn der Sprache      
           
     

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