Kant: AA I, Geschichte und Naturbeschreibung ... , Seite 444

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 von Europa seiner Länge nach durchlaufen, breitete es sich nicht sehr seitwärts      
  02 aus. Die sorgfältigsten Erdbeschreiber, Varen, Buffon, Lulof; bemerken,      
  03 daß, gleichwie alles Land, welches mehr in die Länge als Breite      
  04 sich erstreckt, in der Richtung seiner Länge von einem Hauptgebirge durchlaufen      
  05 wird, also der vornehmste Strich der Gebirge Europens aus einem      
  06 Hauptstamme, nämlich den Alpen, gegen Westen durch die südliche Provinzen      
  07 von Frankreich, mitten durch Spanien bis an das äußerste Ufer      
  08 von Europa gegen Abend sich erstrecke, obgleich es unterwegens ansehnliche      
  09 Nebenäste ausschießt und eben so ostwärts durch die tyrolische und      
  10 andere weniger ansehnliche Berge zuletzt mit den karpatischen zusammen      
  11 stößt.      
           
  12 Diese Richtung durchlief das Erdbeben in demselben Tage. Wenn      
  13 die Zeit der Erschütterung eines jeden Orts richtig aufgezeichnet wäre, so      
  14 würde man die Schnelligkeit einigermaßen schätzen und die Gegend der      
  15 ersten Entzündung wahrscheinlich bestimmen können, nun sind aber die      
  16 Nachrichten so wenig zusammenstimmend, daß in Ansehung dessen auf      
  17 nichts sich zu verlassen ist.      
           
  18 Ich habe schon sonst angeführt, daß die Erdbeben gemeiniglich, wenn      
  19 sie sich ausbreiten, den Strich der höchsten Gebirge halten und zwar durch      
  20 ihre ganze Erstreckung, ob diese sich gleich, je mehr sie sich dem Meeresufer      
  21 näheren, desto mehr erniedrigen. Die Richtung langer Flüsse bezeichnet      
  22 sehr gut die Richtung der Gebirge, als zwischen deren neben einander laufenden      
  23 Reihen dieselbe, als in dem untersten Theile eines langen Thales      
  24 fortlaufen. Dieses Gesetz der Ausbreitung der Erdbeben ist keine Sache      
  25 der Speculation oder Beurtheilung, sondern etwas, das durch Beobachtungen      
  26 vieler Erdbeben ist bekannt geworden. Man muß sich desfalls an      
  27 die Zeugnisse des Raj, Buffon, Gentil u. s. w. halten. Allein dieses Gesetz      
  28 hat soviel innere Wahrscheinlichkeit, daß es auch von sich selber sich      
  29 leichtlich Beifall erwerben muß. Wenn man bedenkt, daß die Öffnungen,      
  30 dadurch das unterirdische Feuer Ausgang sucht, nirgend anders als in den      
  31 Gipfeln der Berge sind, daß man niemals in den Ebenen feuerspeiende      
  32 Schlünde wahrgenommen, daß in Ländern, wo die Erdbeben gewaltig      
  33 und häufig sind, die mehresten Berge weite Rachen enthalten, die zum      
  34 Auswurfe des Feuers dienen, und daß, was unsere europäische Berge betrifft,      
  35 man sonst nirgends als in ihnen geräumige Höhlungen entdeckt, die      
  36 ohne Zweifel in einem Zusammenhange stehen; wenn man hiezu noch den      
  37 Begriff von der Erzeugung aller dieser unterirdischen Wölbungen anwendet,      
           
     

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