Kant: AA I, Geschichte und Naturbeschreibung ... , Seite 434

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 zur Linie, desto tiefere und mannigfaltigere Einbeugungen gemacht haben,      
  02 wodurch diese Minen, die den Zunder zu den Erdbeben enthalten, weitläuftiger      
  03 und dadurch zu der Entzündung desselben geschickter geworden.      
           
  04 Diese Vorbereitung von den unterirdischen Gängen ist zur Einsicht      
  05 dessen, was von der weiten Ausbreitung der Erdbeben in große Länder,      
  06 von dem Striche, den sie halten, von den Orten, wo sie am meisten wüthen,      
  07 und von denjenigen, wo sie sich zürst anheben, in der Folge vorkommen      
  08 wird, von keiner geringen Erheblichkeit.      
           
  09 Ich fange nunmehr von der Geschichte des letztern Erdbebens selber      
  10 an. Ich verstehe unter derselben keine Geschichte der Unglücksfälle, die die      
  11 Menschen dadurch erlitten haben, kein Verzeichniß der verheerten Städte      
  12 und unter ihrem Schutt begrabenen Einwohner. Alles, was die Einbildungskraft      
  13 sich Schreckliches vorstellen kann, muß man zusammen nehmen,      
  14 um das Entsetzen sich einigermaßen vorzubilden, darin sich die Menschen      
  15 befinden müssen, wenn die Erde unter ihren Füßen bewegt wird, wenn      
  16 alles um sie her einstürzt, wenn ein in seinem Grunde bewegtes Wasser      
  17 das Unglück durch Überströmungen vollkommen macht, wenn die Furcht      
  18 des Todes, die Verzweifelung wegen des völligen Verlusts aller Güter,      
  19 endlich der Anblick anderer Elenden den standhaftesten Muth niederschlagen.      
  20 Eine solche Erzählung würde rührend sein, sie würde, weil sie eine      
  21 Wirkung auf das Herz hat, vielleicht auch eine auf die Besserung desselben      
  22 haben können. Allein ich überlasse diese Geschichte geschickteren Händen.      
  23 Ich beschreibe hier nur die Arbeit der Natur, die merkwürdigen natürlichen      
  24 Umstände, die die schreckliche Begebenheit begleitet haben, und die Ursachen      
  25 derselben.      
           
  26
Von den Vorboten des letzteren Erdbebens.
     
           
  27 Das Vorspiel der unterirdischen Entzündung, welche in der Folge so      
  28 entsetzlich geworden ist, setze ich in der Lufterscheinung, die zu Locarno in      
  29 der Schweiz den 14ten October vorigen Jahres Morgens um 8 Uhr wahrgenommen      
  30 worden. Ein warmer als aus einem Ofen kommender Dampf      
  31 breitete sich aus und verwandelte sich in 2 Stunden in einen rothen Nebel,      
  32 daraus gegen Abend ein blutrother Regen entstand, welcher, nachdem er      
  33 aufgefangen war, 1/9 eines röthlichen leimichten Bodensatzes fallen ließ.      
  34 Der 6 Fuß hohe Schnee war ebenfalls roth gefärbt. Dieser Purpurregen      
  35 ward 40 Stunden, das ist ungefähr 20 deutsche Meilen ins Gevierte, ja      
  36 selbst bis in Schwaben wahrgenommen. Auf diese Lufterscheinung folgten      
           
     

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