Kant: AA I, Allgemeine Naturgeschichte und ... , Seite 346

     
           
 

Zeile:

 

Text (Kant):

 

 

 

 
  01 nicht rechnen darf, die Richtigkeit dieser Theorie verkennen könnte, wenn      
  02 die Übereinstimmungen, die der Weltbau in allen seinen Verbindungen      
  03 zu dem Nutzen der vernünftigen Creatur hat, nicht etwas mehr, als      
  04 bloße allgemeine Naturgesetze zum Grunde zu haben schienen. Man      
  05 glaubt auch mit Recht, daß geschickte Anordnungen, welche auf einen      
  06 würdigen Zweck abzielen, einen weisen Verstand zum Urheber haben      
  07 müssen, und man wird völlig befriedigt werden, wenn man bedenkt,      
  08 daß, da die Naturen der Dinge keine andere, als eben diese Urquelle      
  09 erkennen, ihre wesentliche und allgemeine Beschaffenheiten eine natürliche      
  10 Neigung zu anständigen und unter einander wohl übereinstimmenden      
  11 Folgen haben müssen. Man wird sich also nicht befremden      
  12 dürfen, wenn man zum gewechselten Vortheile der Creaturen gereichende      
  13 Einrichtungen der Weltverfassung gewahr wird, selbige einer natürlichen      
  14 Folge aus den allgemeinen Gesetzen der Natur beizumessen, denn      
  15 was aus diesen herfließt, ist nicht die Wirkung des blinden Zufalles      
  16 oder der unvernünftigen Nothwendigkeit: es gründet sich zuletzt doch      
  17 in der höchsten Weisheit, von der die allgemeinen Beschaffenheiten      
  18 ihre Übereinstimmung entlehnen. Der eine Schluß ist ganz richtig:      
  19 Wenn in der Verfassung der Welt Ordnung und Schönheit hervorleuchten,      
  20 so ist ein Gott. Allein der andere ist nicht weniger gegründet:      
  21 Wenn diese Ordnung aus allgemeinen Naturgesetzen hat herfließen      
  22 können, so ist die ganze Natur nothwendig eine Wirkung der      
  23 höchsten Weisheit.      
           
  24 Wenn man es sich aber durchaus belieben läßt, die unmittelbare      
  25 Anwendung der göttlichen Weisheit an allen Anordnungen der Natur,      
  26 die unter sich Harmonie und nützliche Zwecke begreifen, zu erkennen,      
  27 indem man der Entwickelung aus allgemeinen Bewegungsgesetzen keine      
  28 übereinstimmende Folgen zutrauet: so wollte ich rathen, in der Beschauung      
  29 des Weltbaues seine Augen nicht auf einen einzigen unter      
  30 den Himmelskörpern, sondern auf das Ganze zu richten, um sich aus      
  31 diesem Wahne auf einmal heraus zu reißen. Wenn die schiefe Lage      
  32 der Erdachse gegen die Fläche ihres jährlichen Laufes durch die beliebte      
  33 Abwechselung der Jahreszeiten ein Beweisthum der unmittelbaren      
  34 Hand Gottes sein soll, so darf man nur diese Beschaffenheit bei den      
  35 andern Himmelskörpern dagegen halten; so wird man gewahr werden,      
  36 daß sie bei jedem derselben abwechselt, und daß in dieser Verschiedenheit      
  37 es auch einige giebt, die sie gar nicht haben: wie z. E. Jupiter,      
           
     

[ Seite 345 ] [ Seite 347 ] [ Inhaltsverzeichnis ]