Kant: AA I, Allgemeine Naturgeschichte und ... , Seite 326

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 ihrer Ausspannung gemäßen Gewalt in ihren Raum zu dringen,      
  02 um die erloschene Flamme anzufachen.      
           
  03 Gleichwohl verschlingt alle Flamme immer viele Luft, und es ist      
  04 kein Zweifel, daß die Federkraft des flüssigen Luftelements, das die      
  05 Sonne umgiebt, dadurch in einiger Zeit nicht geringen Nachtheil erleiden      
  06 müsse. Wenn man dasjenige, was Herr Hales hievon bei der      
  07 Wirkung der Flamme in unserer Atmosphäre durch sorgfältige Versuche      
  08 bewährt hat, hier im großen anwendet: so kann man die immerwährende      
  09 Bestrebung der aus der Flamme gehenden Rauchtheilchen,      
  10 die Elasticität der Sonnen=Atmosphäre zu zernichten, als einen Hauptknoten      
  11 ansehen, dessen Auflösung mit Schwierigkeiten verbunden ist.      
  12 Denn dadurch daß die Flamme, die über der ganzen Fläche der      
  13 Sonne brennt, sich selber die Luft benimmt, die ihr zum Brennen unentbehrlich      
  14 ist, so ist die Sonne in Gefahr gar zu verlöschen, wenn      
  15 der größte Theil ihrer Atmosphäre verschlungen worden. Es ist wahr,      
  16 das Feuer erzeugt auch durch Auflösung gewisser Materien Luft; aber      
  17 die Versuche beweisen, daß allezeit mehr verschlungen, als erzeugt wird.      
  18 Zwar wenn ein Theil des Sonnenfeuers unter erstickenden Dämpfen      
  19 der Luft, die zu ihrer Erhaltung dient, beraubt wird, so werden, wie      
  20 wir schon angemerkt haben, heftige Stürme sie zerstreuen und wegzuführen      
  21 bemüht sein. Allein im Ganzen wird man die Ersetzung      
  22 dieses nöthigen Elements auf folgende Art sich begreiflich machen können,      
  23 wenn man in Betrachtung zieht, daß, da bei einem flammenden      
  24 Feuer die Hitze fast nur über sich und nur wenig unter sich wirkt,      
  25 wenn sie durch die angeführte Ursache erstickt worden, ihre Heftigkeit      
  26 gegen das Innere des Sonnenkörpers kehrt und dessen tiefe Schlünde      
  27 nöthigt, die in ihren Höhlen verschlossene Luft hervorbrechen zu lassen      
  28 und das Feuer aufs neue anzufachen; wenn man in diesem ihrem Eingeweide      
  29 durch eine Freiheit, die bei einem so unbekannten Gegenstande      
  30 nicht verboten ist, vornehmlich Materien setzt, die, wie der Salpeter an      
  31 elastischer Luft unerschöpflich ergiebig sind, so wird das Sonnenfeuer      
  32 überaus lange Perioden hindurch an dem Zuflusse immer erneueter      
  33 Luft nicht leichtlich Mangel leiden können.      
           
  34 Gleichwohl sieht man die deutlichen Merkmaale der Vergänglichkeit      
  35 auch an diesem unschätzbaren Feuer, das die Natur zur Fackel der      
  36 Welt aufgesteckt. Es kommt eine Zeit, darin sie wird erloschen sein.      
  37 Die Entziehung der flüchtigsten und feinsten Materien, die, durch die      
           
     

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