Kant: AA I, Die Frage, ob die Erde veralte, ... , Seite 209

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 haben.*) Dieser Verlust des Meerwassers könnte vielleicht      
  02 nicht unbeträchtlich sein und verdiente genauer erwogen zu werden.      
  03 Allein der dritte Grund scheint wohl den größten und unstrittigsten Antheil      
  04 an der verminderten Höhe des Meeres zu haben, welche immer      
  05 abnehmen muß, je tiefer dieses sein Bette ausarbeitet, wiewohl auf diese      
  06 Art nicht der geringste Schritt zum Verderben der Erde zu besorgen ist.      
           
  07 Welches ist denn das Resultat der Prüfung, die über die bisher      
  08 vorgetragene Meinungen angestellt worden? Wir haben die drei erstere      
  09 verneinend entschieden. Das Erdreich verliert keine Salzigkeit durch      
  10 das Abspülen des Regens und der Bäche; die fette Erde wird nicht      
  11 durch die Flüsse mit unersetzlichem Verlust in das Meer geschleppt, um      
  12 es endlich auszufüllen und die Gewässer desselben über das bewohnte      
  13 Land wiederum zu erheben. Sie führen in der That demselben den      
  14 Raub der hohen Gegenden zu; allein dieses bedient sich desselben, um      
  15 ihn wiederum an den Ufern des festen Landes abzusetzen, und die Unterhaltung      
  16 und Bildung der Vegetabilien kostet dem Meere einen wirklichen      
  17 Aufwand ausgedunstetes Wassers, wovon ein namhafter Theil      
  18 den flüssigen Zustand abzulegen und das Erdreich wegen seines Verlusts      
  19 schadlos zu halten scheint. Endlich hat die Vermuthung von der      
  20 wirklichen Abnahme der Gewässer des Oceans ungeachtet ihrer Wahrscheinlichkeit      
  21 doch noch nicht genugsam gegründete Zuverlässigkeit, um      
  22 in einer sichern Hypothese einen entscheidenden Ausspruch zu veranlassen.      
  23 Es bleibt also in Ansehung der Veränderung der Gestalt der Erde eine      
  24 einzige Ursache übrig, worauf man mit Gewißheit rechnen kann, welche      
  25 darin besteht: daß der Regen und die Bäche, indem sie das Erdreich      
  26 beständig angreifen und von den hohen Gegenden in die niederen abspülen,      
  27 die Höhen nach und nach eben zu machen und, so viel an ihnen      
  28 ist, die Gestalt der Erde ihrer Unebenheiten zu berauben trachten.      
  29 Diese Wirkung ist gewiß und zuverlässig. Das Erdreich ist dieser Veränderung      
  30 auch so lange unausgesetzt unterworfen, so lange es an dem      
  31 Abhange der hohen Theile Materien giebt, welche von dem Regenwasser      
  32 angegriffen und weggespült werden können, und die Erde wird von      
  33 derselben nicht eher frei sein, als bis nach weggespülten lockeren Schichten      
  34 die felsichte Grundlagen derselben die einzige Höhen ausmachen werden,      
           
    *) Siehe der Königl. Akad. der Wissensch. zu Paris physische Abhandlungen; von Steinwehrsche Übers. 2ter Band. p. 246.      
           
     

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