Kant: AA I, Gedanken von der wahren ... , Seite 100

     
           
 

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Text (Kant):

 

Randtext (Kant)

 

 

 
  01 Es ist hier vornehmlich die Frage: ob die Unterscheidungen Unsere    
  02 des Herrn Bülfingers den mathematischen Methode beugt    
  03 Beweis, den er aus dem Verhältniß der Diagonallinie den Unterscheidungen    
  04 gegen die Seitenlinie in der Zusammensetzung wirklicher des    
  05 Bewegungen für die lebendigen Kräfte genommen hat, Herrn Bülfingers    
  06 geltend machen können, oder ob dieser mathematische Beweis vor.    
  07 allem diesem ungeachtet dennoch keine Schutzwehre der neuen      
  08 Schätzung abgeben kann. Dies ist eigentlich der Punkt, warum gestritten      
  09 wird; denn wenn das Gebäude des Herrn Bülfingers nur auf      
  10 metaphysischen Grundsätzen beruht und nicht durch die mathematische      
  11 Begriffe von der Zusammensetzung der Bewegungen unterstützt wird,      
  12 so entschuldigt uns schon die Absicht dieses Hauptstückes, wenn wir      
  13 uns in die Untersuchung desselben nicht einlassen. Es wird aber das      
  14 Verhältniß der Diagonalgeschwindigkeit gegen die Seitengeschwindigkeiten      
  15 in der Zusammensetzung wirklicher Bewegungen aus einem      
  16 und eben demselben Grunde erwiesen, woraus man dieses Verhältniß      
  17 ebenfalls in der Zusammensetzung todter Drucke herleitet. Es ist also      
  18 wahr, wenn gleich in den zusammengesetzten wirklichen Bewegungen      
  19 keine andere Eigenschaften und Bestimmungen anzutreffen sind, als die      
  20 sich bei den todten Drucken befinden, weil es hinlänglich bewiesen      
  21 werden kann, ohne daß man etwas anders hiezu nöthig hat, als das,      
  22 was man auch bei den todten Drucken, die zusammengesetzt werden,      
  23 voraussetzen muß. Es kann also aus dem Verhältniß der Diagonalgeschwindigkeit      
  24 bei wirklichen Bewegungen nicht geschlossen werden: da      
  25 die zusammengesetzten Kräfte von anderer Natur und Schätzungsart      
  26 sein müssen als die todten Drucke; denn eben dasselbe Verhältniß hat      
  27 dennoch statt, wenn gleich die Natur der zusammengesetzten Kräfte von      
  28 den todten Drucken gar nicht unterschieden ist, weil man keine andere      
  29 Gründe braucht, um es zu beweisen, als diejenige, die man auch hier      
  30 nöthig haben würde. Es ist also vergeblich, daß sich Herr Bülfinger      
  31 derselben bedienen will, um hieraus zu schließen: daß die Kräfte nicht      
  32 in Proportion der Geschwindigkeiten, sondern ihrer Quadrate stehen.      
           
  33 Demnach können die metaphysischen Unterscheidungen, deren sich      
  34 dieser Philosoph bedient hat, zwar vielleicht etwas darbieten, woraus      
  35 eine fortgesetzte philosophische Erwägung einige Gründe zum Vortheile      
  36 der lebendigen Kräfte ziehen würde; allein zur Emporhaltung desjenigen      
  37 mathematischen Beweises, von dem wir reden, sind sie nicht      
           
     

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